Im Reich der Löwin
abhing, die er dem Bischof verschweigen konnte. Mit einem zufriedenen Grinsen zog er das Nachtgewand wieder über den Kopf, fuhr sich durch den dichten Schopf und warf sich splitternackt auf die Matratze.
Rom, der Vatikan, Anfang September 1195
»Sagt mir, was soll ich nur mit diesen beiden anfangen?«, fragte der greise Papst Colestin seinen Camerlengo . Mit einem Blick auf die beiden Depeschen, die mit erbrochenem Siegel vor ihm auf dem polierten Sekretär lagen, zuckte er ratlos die Schultern. »Wenn ich das wüsste, Eure Heiligkeit«, seufzte der ebenfalls nicht mehr ganz junge Angelo di Carpa, trat hinter den Papst und schob den Lesestein an den Anfang des Dokumentes zurück, welches das Wappen von Richard Löwenherz trug. »Ganz offensichtlich behauptet dieser hier«, er wies auf die Botschaft, die Philipp von Frankreich in Arnaulds Namen verfasst hatte, »dass die junge Frau seine Gemahlin ist.« Mit einem leisen Schnauben ließ er den gelblichen Beryll weiter nach rechts wandern und überflog Richards Zeilen erneut. »Wohingegen der englische König die Annullierung der Ehe fordert, da diese niemals vollzogen worden ist.« Colestin nickte, seufzte tief und erhob sich mit knackenden Gelenken. »Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen, dass ich damals Richards Gefangennahme nicht verhindert habe«, gestand er und kratzte sich den beinahe völlig kahlen Kopf unter dem goldbestickten Camelaucum. »Am liebsten würde ich ihm recht geben und den Franzosen mit einer Ausrede abspeisen, aber das geht nicht so einfach.«
Immer noch auf die Schriftstücke starrend, hub der Camerlengo an: »Ich hätte da eine Idee, aber sie ist etwas pikant.« Erstaunlich flink für sein hohes Alter wirbelte Colestin herum und fixierte ihn mit stechenden, kleinen Äuglein. »Dann heraus damit! Solange es das Problem aus der Welt schafft.« »Nun«, stellte di Carpa mit einem listigen Lächeln auf den pergamentdünnen Lippen fest. »Jemand muss überprüfen, ob die Ehe vollzogen worden ist oder nicht.« Er verschränkte die Arme über der Brust. »Erst dann könnt Ihr eine Entscheidung treffen.« Colestin nickte versonnen. »Wenn die Braut sich dieser Prozedur überhaupt unterwirft. Ansonsten entscheidet sich die Angelegenheit von allein.« Bewundernd legte er seinem Camerlengo die knorrige Hand auf den Arm. »Wenn ich Euch nicht hätte.«
England, Portsmouth, Anfang September 1195
»Madame, dort herrscht Krieg!« Das Gesicht des Wirtes war eine Studie in Verständnislosigkeit. »Es ist gefährlich, den Kanal zu überqueren«, fuhr er fort und platzierte Brot, einen Laib Käse und eine riesige Schüssel Fischsuppe auf dem Tisch zwischen den beiden Männern und der Frau, die ihm die abwegige Frage gestellt hatten. Dann fuhr er sich durch den schlecht gestutzten Bart. »Das ist uns klar«, erwiderte einer der Ritter schroff, nachdem er eine dicke Scheibe Cheddar abgesäbelt und auf sein Brett geklatscht hatte. »Wo finden wir einen Kapitän, der uns so bald als möglich übersetzt?«, wiederholte er die ursprüngliche Frage. Kopfschüttelnd starrte der Wirt seine Gäste an, steckte jedoch nach kurzem Zögern Daumen und Zeigefinger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus. Dieser lockte einen schmutzigen, rußverschmierten Bengel aus den Eingeweiden der Taverne hervor. Nachdem der Knabe den Wirt mit einem schuldbewussten Augenaufschlag bedacht hatte, folgte er der Handbewegung des Mannes und verneigte sich mit einem neugierigen Blick auf Catherine tief vor den hohen Gästen. »Geh und frag Brychan, den Waliser, ob er morgen Passagiere übersetzt!, befahl sein Herr. Doch als der Junge davonstieben wollte, hielt ihn der Ältere der beiden Bewaffneten zurück. »Nein«, brummte er. »Es muss noch heute sein!«
Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend folgte Catherines Blick dem kleinen Burschen. Aber noch bevor er den sich langsam füllenden Schankraum verlassen hatte, wurde sie von der Hand ihres Sohnes, die sich fordernd in ihren Bauch drückte, abgelenkt. »Durst«, quengelte der Kleine, dessen Haar in einem zerwühlten Kranz um seinen Kopf stand. Anders als seine Schwester, die selig neben ihrer Mutter auf der Bank schlummerte, schien William durch die Anstrengungen des Tages aufgekratzt und munter. Nur die Rötung seiner Augen ließ erahnen, dass auch er bald der Erschöpfung zum Opfer fallen würde. »Komm her, mein Liebling«, murmelte Catherine, hob ihn auf den Schoß und flößte ihm vorsichtig etwas von
Weitere Kostenlose Bücher