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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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dem stark verdünnten Cidre ein, den er gierig trank, bevor er sich mit einem zufriedenen Seufzen gegen ihre Brust zurückfallen ließ. Zärtlich fuhr ihre Hand über seinen Kopf, der immer schwerer zu werden schien, bis er schließlich zur Seite fiel und der Knabe an ihre Schulter gebettet einschlief. Es verging keine halbe Stunde, bis der vom Wirt ausgesandte Junge mit einem wettergegerbten Seemann im Schlepptau zurückkam. Im Mundwinkel des Graubärtigen hing ein zerbissener Zweig, und seine erstaunlich klaren, blitzblauen Augen musterten die Fünfergruppe abschätzend. »Ihr wollt noch heute nach Frankreich?«, fragte er mit kratziger Stimme. Als Catherine drei Silbermünzen vor ihm auf den Tisch zählte, schoss seine Hand vor und ließ den Schatz in den Tiefen seines einfachen Gewandes verschwinden. »Keine Fragen«, murmelte er. »Sobald Ihr hier fertig seid, findet Ihr mich an der Anlegestelle gegenüber dem Freudenhaus.« Trotz der Abscheu, die Catherine bei diesem Treffpunkt empfand, nickte sie und blickte dem Mann nach. Dieser trat nach einem kurzen Gespräch mit der Wirtin durch die niedrige Eingangstür und verschwand in der Dunkelheit. »Ob wir ihm trauen können?«, fragte sie furchtsam, doch ihre Begleiter winkten abfällig ab. »Habt keine Angst«, beruhigte sie der Ältere. »Wir werden das Boot durchsuchen, bevor wir ablegen. Dann gibt es keine bösen Überraschungen.«
    Drei Tage später, nachdem sie die Überfahrt bis auf die schon längst vergessene Übelkeit unbeschadet überstanden hatten, kämpfte sich die kleine Gruppe durch die dichten Wälder und weiten Felder der nördlichen Normandie. Am Himmel wetteiferte die strahlende Sonne mit einer Handvoll harmloser Wolken, die von einem starken Ostwind in Richtung Meer getrieben wurden. Erstaunt hatte Catherine bereits kurz nach ihrer Landung auf dem Festland festgestellt, dass alles genauso aussah wie in England. Selbst die Häuser glichen denen in ihrer Heimat. Lediglich die verwahrlosten Felder und abgebrannten Dörfer machten deutlich, dass die ländliche Idylle alles andere als vollkommen war. Lange Zeit schienen sie weit und breit die Einzigen zu sein, die es wagten, sich ohne den Schutz der Dunkelheit fortzubewegen. Und selbst im dichten Wald waren die einzigen Lebewesen, auf die sie trafen, vierbeinig. Stundenlang folgten sie verlassenen Wegen und leergefegten Straßen, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Alles schien friedlich, als plötzlich einer der Ritter warnend die Hand hob. »Duckt Euch!« Wie aus heiterem Himmel surrte ein Armbrustbolzen durch die Spätsommerluft und zersplitterte keine drei Zoll vor Catherines Begleiter die trockene Rinde einer Kastanie. Was zur Folge hatte, dass einige der Früchte zu Boden purzelten. Ehe die junge Frau wusste, wie ihr geschah, landete sie unsanft im Straßengraben und hatte gerade noch genug Zeit, ihre beiden Kinder aufzufangen, bevor ein weiteres Geschoss die Grasnarbe neben ihr aufriss. »Lasst die Köpfe unten!«, befahl der Ältere der beiden Ritter, ging in die Knie und legte die eigene Armbrust an, um die Angreifer seinerseits unter Beschuss zu nehmen. Während er noch damit beschäftigt war, die Winde zu bedienen, streifte ihn ein feindlicher Bolzen am Oberarm, sodass ihm um ein Haar die Waffe entglitten wäre. Sein dunkelgrünes Surkot klaffte auf und gab den Blick frei auf eine stark blutende Wunde, die er jedoch, ohne mit der Wimper zu zucken, ignorierte. Mit geübten Bewegungen hob er die Waffe an die Schulter und schoss dem vordersten Angreifer in die Brust.
    »Es sind Franzosen«, zischte sein Kamerad, der ebenfalls hinter einem der dicken Baumstämme Deckung gesucht und soeben einen weiteren blau-gelb Gekleideten zu Fall gebracht hatte. »Wie viele?«, flüsterte Catherine aufgeregt und schob vorsichtig den Kopf über die Barriere aus struppigem Gras, das ihr die Sicht nahm. »Unten bleiben, verdammt!«, fluchte der Ältere, versetzte ihr einen unsanften Stoß und zog das Schwert, um auf die verbleibenden drei Angreifer loszustürmen. Es muss ein Spähtrupp sein!, dachte Catherine. Denn den Informationen zufolge, die man ihnen bei ihrer Landung in Frankreich gegeben hatte, war dieser Teil der Normandie unter englischer Kontrolle. »Ich habe Angst«, wimmerte Aliénor und klammerte sich schutzsuchend an ihren Bruder. »Das brauchst du nicht«, beruhigte Catherine das Mädchen, schlang die Arme um die beiden Kinder und lauschte mit hämmerndem Herzen den Geräuschen des

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