Im Reich der Löwin
Knüppeln kämpft?«, entflammte der begabte Redner auf dem Podium soeben den Zorn der Anwesenden. »Sie laden ihre Schulden auf unsere Schultern, doch irgendwann läuft jedes Fass über!« Zustimmende Rufe ließen ihn die Hände heben, um für Ruhe zu sorgen. »Aber noch müssen wir im Untergrund bleiben, Freunde, denn wir sind noch lange nicht genug Streiter für die Gerechtigkeit.« Mit dem rechten Zeigefinger zerschnitt er die stickige Luft vor sich, um die Wichtigkeit der folgenden Worte zu unterstreichen. »Geht und rekrutiert jeden, der sich unserer Sache anschließen will.« Er machte eine wirkungsvolle Pause, in der er die erhitzten Gesichter der Einzelnen nacheinander abtastete, bevor er mit bebendem Pathos in der Stimme hinzufügte: »Geht mit Gottes Segen!« Obwohl die Versammelten wussten, dass FitzOsbern keinesfalls ein Priester war, senkten viele von ihnen dankbar die Köpfe, bevor sie leise tuschelnd das Gewölbe verließen, um ihre Mission zu erfüllen. Guillaume blieb zurück und musterte die Davoneilenden. Kaum hatte sich der Keller gelehrt, als FitzOsbern auf den jungen Huntingdon zutrat und freudestrahlend verkündete. »Es sind schon über 4 000! Gebt mir noch ein paar Monate und die halbe Stadt gehört uns.«
Die Normandie, Rouen, September 1195
»Mein Gott«, hauchte Jeanne, die Aliénor von Aquitanien mit totenbleicher Miene anstarrte. »Das kann nicht sein Ernst sein!« Aber die alte Dame, in deren Händen die Botschaft Papst Colestins leicht zitterte, nickte stumm. »Wer hätte ahnen können, dass dein Gemahl sich ebenfalls an den Papst wendet«, murmelte sie und verfluchte Richard erneut, dass dieser mit der Bittschrift so lange gewartet hatte. Wenn er sie direkt nach der Ankunft der Damen im Palast in Rouen versandt hätte, dann wäre er Arnauld und Philipp zuvorgekommen! »Ich …«, stammelte die junge Frau und stützte sich an einem der Kirschbäume im Garten der Festung ab, um nicht ins Straucheln zu geraten. Die Blätter zeigten bereits erste Anzeichen des nahenden Herbstes. Doch die goldene Sonne, die nur von einem dünnen Schleier aus Zirruswolken getrübt wurde, hatte noch erstaunlich viel Kraft. »Setzt Euch erst einmal«, schlug Berengaria von Navarra vor. Sie hatte sich den beiden Frauen – ihren beinahe einjährigen Sohn auf dem Arm – angeschlossen, und zwang Jeanne nun mit sanfter Gewalt auf eine der Bänke. »Es klingt schlimmer, als es ist«, setzte sie hinzu, küsste die Nase ihres Sprösslings und drückte ihn Jeanne in die Hände, um sie auf andere Gedanken zu bringen.
»Wenn du, wie du sagst, noch Jungfrau bist«, stellte Aliénor fest und ließ sich neben ihrer Großnichte nieder, »dann hast du nichts zu befürchten.« »Aber diese Schande«, flüsterte Jeanne und vergrub das Gesicht im Haar des schlummernden Kindes, das sie mechanisch in den Armen wiegte. Während sie den tröstenden Duft einsog, schloss sie die Augen und versuchte erfolglos, die Tränen zurückzuhalten. »Ach was«, wiegelte die Königinmutter ab und machte eine wegwerfende Geste. »Es sind doch Nonnen.« Jeanne stöhnte leise, hob den feuchten Blick und stieß gepresst hervor: »Noch niemals hat mich jemand dort berührt.« Ihre blasse Haut überzog sich mit flammender Röte, als sie beschämt einen Punkt auf dem perfekt gestutzten Rasen fixierte. Krampfhaft umschlossen ihre Finger den Stoff ihres Obergewandes, das mit einem leisen Rascheln gegen die grobe Behandlung protestierte. »Es wird schneller vorüber sein, als Ihr denkt«, warf Berengaria ein und zog sich fröstelnd den dünnen Mantel um die Schultern. »Seht es als neuen Anfang.« Sie lächelte ermunternd und legte die Hand auf Jeannes Rücken. »Danach seid Ihr frei und könnt Euch den Gemahl wählen, den Ihr wollt.« Jeanne schüttelte heftig den Kopf. »Nie wieder werde ich einen Mann in meine Nähe lassen!« Sie rümpfte die Nase. »Sie sind widerlich!« Berengaria lachte. »Das sagt Ihr heute, aber wartet ab, bis Euch der Richtige begegnet.« Um ihren Mund spielte ein wissendes Lächeln. »Das wird niemals passieren«, versetzte Jeanne trotzig und stieß heftig die Luft aus den Lungen.
»Sei nicht so dumm, Kind«, schalt Aliénor von Aquitanien, während sie mit der Linken die Augen gegen die tief stehende Sonne beschirmte. »Die Macht einer Frau liegt in den Händen ihrer Söhne«, belehrte sie ihre Großnichte nüchtern. »Wie willst du jemals Einfluss gewinnen, wenn du keinen Mann hast, dem du einen Erben schenken
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