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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Schnauben aus. Dann schleuderte er den Umhang über die Schulter und wandte der Versammlung wortlos den Rücken, um auf den Ausgang zuzustürmen. Im Vorbeieilen gab er Roland mit einem knappen Wink zu verstehen, dass er ihm folgen sollte, und eilte den langen Korridor entlang auf die breite Treppe zu, die ins Erdgeschoss des Palastes führte. Unten angekommen, pflügte er mit ausladenden Schritten durch die sich dort drängende Meute an Bittstellern, bahnte sich rüde einen Weg durch die bunte Menge vor der Tür und steuerte auf die Stallungen zu. »Sattel die Pferde«, bellte er Roland an, während er selbst in Richtung der äußeren Befestigung verschwand. »Wir brechen bei Sonnenaufgang nach Vaudreuil auf!«

Frankreich, Issoudun im Berry, November 1195
     
    Immer mehr blutige und verstümmelte Soldaten verschwanden unter den Hufen von Rolands Apfelschimmelwallach, während sein Reiter links und rechts Breschen in die französischen Linien hieb. Philipp war erneut vertragsbrüchig geworden. An dem Tag, an dem die mit Alys’ Verheiratung erkaufte Waffenruhe endgültig festgeschrieben werden sollte, hatte der französische König einen Sturmangriff auf die nördliche Hafenstadt Dieppe unternommen und Richard Löwenherz durch diesen Affront dazu veranlasst, von Vaudreuil aus in den Norden zu stürmen. Dort hatte er die sechshundert siegreichen französischen Ritter auf ihrem Heimweg durch die südlich der Stadt Dieppe gelegenen Wälder mit seinen walisischen Veteranen niedergemacht. Daraufhin war der englische König mit einer kleinen Auswahl seiner besten Kämpfer in Gewaltmärschen in den Süden geprescht, wohin Philipp die Fronten geschickt verschoben hatte, um das von den Franzosen bedrängte Issoudun zu befreien. Obschon die Stadt selbst nach nur kurzer Belagerung durch die Franzosen gefallen war, hielten die englischen Verteidiger der Burg den Angriffen immer noch stand. Und trotz der verbissenen Versuche der Franzosen, die englische Verstärkung aufzuhalten, rückte der weiße Bergfried immer näher in Rolands Blickfeld.
    »Haltet euch weiter links!«, brüllte Richard Löwenherz den hinter ihm Reitenden über die Schulter zu. »Dorthin!« Etwa einhundert Schritte vor ihnen verengte sich die schmale Hauptstraße zu einem Pfad, der zu den mächtigen Toren der Festung hinaufführte, von deren Zinnen die englischen Verteidiger einen dichten Pfeilhagel auf die Feinde niederprasseln ließen. Es war Roland ein Rätsel, wie die Schützen es bewerkstelligten, dass die tödlichen Geschosse ausschließlich die blau-gelb gekleideten Franzosen fällten. Doch bevor er weiter darüber nachgrübeln konnte, bohrte sich eine Schwertspitze in seinen Unterschenkel und er unterdrückte nur mit Not einen erschrockenen Aufschrei. Flammender Schmerz durchzuckte ihn, und um ein Haar hätte er die Zügel fahren lassen. Aber als sein Angreifer ein zweites Mal ausholte, um erneut auf ihn einzuschlagen, schwang der junge Mann die eigene, blutbesudelte Waffe und durchtrennte den Schwertarm des anderen. Mit einem tierischen Schrei ging der Franzose zu Boden und Roland wandte sich im Sattel um, damit er dem Gegner den Gnadenstoß versetzen konnte. Doch die hinter ihm den Weg hinaufdrängenden Ritter hatten ihn bereits von dem Verblutenden fortgespült, sodass er lediglich einen blonden Schopf aufblitzen sah, als der Gefallene vergeblich versuchte, sich vor den auf ihn niedersausenden Hufen zu schützen. Immer weiter wurde Roland auf die Tore der Ringburg zugedrängt, während er, ohne nachzudenken, auf Arme, Beine, Helme und Pferdeleiber einhieb.
    Dann – urplötzlich – wich das Getöse des Kampfgetümmels einer beinahe unheimlichen Ruhe. Erst als er der freudestrahlenden Männer gewahr wurde, welche die Ankömmlinge jubelnd umtanzten, hob sich der Schleier von seinen Sinnen und das Triumphgeschrei schlug über ihm zusammen. Auf der Zugbrücke kämpften noch einige todesmutige Franzosen um Einlass in die Befestigungsanlage. Doch als die Torflügel der Burg mit einem donnernden Krachen ins Schloss fielen, der scheinbar tonnenschwere Riegel in seine Halterung schoss und die Pechnasen bemannt wurden, ergriffen auch die Tapfersten unter ihnen die Flucht. Wie im Traum glitt der Knabe aus dem Sattel, griff nach Richards Zügel und befolgte Befehle, an die er sich später nicht mehr erinnern konnte. Während er die erschöpften Reittiere versorgte, versuchte er, das dumpfe Pochen in seinem Bein zu ignorieren. Aber nachdem er mit letzter Kraft

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