Im Reich der Löwin
gerunzelter Stirn ließ sie den Blick über die schuldbewusste Miene ihres Gatten wandern. »Ich hatte befürchtet, du hättest dir einen Liebhaber genommen«, gestand er kleinlaut. »Als keine Briefe mehr kamen.« Er senkte den Blick, und einen Augenblick lang schwiegen sie beide. Dann legte Catherine sanft die Hand auf den blonden Schopf und zwang ihn mit leichtem Druck, ihr in die Augen zu blicken. »Das würde ich niemals übers Herz bringen«, flüsterte sie. Ein weiteres Mal füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Ich liebe dich so sehr, Harold of Leicester«, hauchte sie, »dass ich für dich durch die Hölle gehen würde.« Ihre Lippen bebten. »Das solltest du eigentlich wissen.« Er schluckte schwer. Aber als sie ihm einen Kuss auf den Mund drückte, presste er sie so heftig an sich, dass sie sich schließlich keuchend von ihm befreite. »Sachte«, protestierte sie mit einem sanften Lächeln, ließ sich jedoch sofort wieder von seinen Lippen mundtot machen. Während sie sich in dem Kuss verloren, schien all die Unbill der vergangenen Wochen zur Unbedeutsamkeit zu verblassen.
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»Was soll das heißen?«, brauste eine halbe Meile weiter stadteinwärts ein vor Zorn bleicher Richard Löwenherz auf und stach dem Erzbischof Walter von Rouen mit dem Zeigefinger in die dunkelgrün gewandete Brust. Am Vortag hatte Löwenherz den Kirchenmann von seinen Bauplänen in Kenntnis gesetzt. Daraufhin hatte der Geistliche den König zu einem hochoffiziellen Treffen in seinen Bischofspalast geladen, wo die Angelegenheit nun diskutiert werden sollte. Der Schatten der angrenzenden Basilika verdunkelte den überladenen Raum, in den sich die Männer nach einem üppigen Bankett zurückgezogen hatten. Eine Heerschar von Bediensteten huschte von einem hohen Besucher zum nächsten, um die scheinbar bodenlosen Kelche der Gäste mit schwerem, ölig funkelnden Rhône-Wein zu füllen. Währenddessen lud sich die überheizte Luft langsam, aber sicher mit knisternder Spannung auf. Nur mühsam gelang es Walter von Rouen, die Maske der Höflichkeit zu wahren. Aber in seinen Augen zeichnete sich deutlich das Missfallen ab, das er dem Vorhaben des englischen Königs entgegenbrachte. Das kinnlange, dunkelblonde Haar schwang leicht hin und her, als er den Kopf schüttelte und das rundwangige Gesicht zu Richard Löwenherz hob.
»Ich biete Euch zehnmal so viel, wie der verdammte Felsen wert ist!«, spuckte der englische König aus und tat einen weiteren Schritt auf den Bischof zu, sodass dieser sich leicht zurückbeugen musste, um nicht mit der Nase an die Brust des erzürnten Löwen zu stoßen. Mit einem halb resignierten, halb aufgebrachten Seufzer hob der wenig beeindruckte Kirchenmann, dem das von Richard Löwenherz begehrte Les Andelys gehörte, die Hände und versetzte kühl: »Ich kann Euch nicht so einfach den Besitz der Heiligen Mutter Kirche verkaufen.« Als der englische König rot anlief, wandte er hastig den Blick ab und ließ ihn über dessen Begleiter schweifen. Diese waren – einer Mischung aus Bescheidenheit und Vorsicht folgend – in den Hintergrund des Raumes zurückgewichen. Neben dem Halbbruder und Knappen des Königs, der mit gesenktem Kopf nahe der Feuerstelle seine Stiefelspitzen betrachtete, waren Prinz John und ein junger Zisterziensermönch, der als Chronist zu fungieren schien, anwesend – zudem die Earls of Pembroke, Devon und Cornwall und eine Handvoll weniger bedeutender Adeliger, deren einzige Funktion darin zu bestehen schien, das Gefolge des Engländers aufzublähen. Ungerührt lauschte der Bischof auf den sich immer mehr beschleunigenden Atem des Königs, ehe er schließlich scheinbar bedauernd hinzufügte: »Und selbst wenn es so einfach möglich wäre, müsste ich erst meinen Schatzmeister ausrechnen lassen, wie viele Zolleinkünfte uns dadurch verloren gingen.«
Walter von Rouen verbarg das Lächeln, das sich auf seinen plumpen Zügen ausbreitete, hinter vorgehaltener Hand und trat einen Schritt von Richard Löwenherz zurück. Er zuckte gespielt ergeben die Schultern. »Aber seid versichert: Ich werde darüber nachdenken.« Einige Augenblicke lang hätte man in dem riesigen Raum eine Nadel fallen hören können. Hätte nicht das Knistern des Buchenfeuers die Stille hie und da unterbrochen, wäre sie so erstickend gewesen wie ein zu langer Aufenthalt unter Wasser. Nach einer scheinbaren Ewigkeit, in der Löwenherz den Bischof unbeweglich anstarrte, stieß er schließlich ein abfälliges
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