Im Reich der Löwin
den silbernen Brust- und Rückenschmuck des Pferdegeschirrs auf die starken, in der Stallmauer verankerten Haken gehievt hatte, brach er kalt schwitzend im Stroh zusammen. Wie lange sie die Burg wohl halten konnten?, dachte er noch, bevor er erschöpft die Augen schloss und in eine bleierne Ohnmacht fiel.
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»Dieser arrogante Narr!«, frohlockte Philipp von Frankreich eine halbe Meile entfernt schadenfroh und drosch dem schief lächelnden Arnauld de Touraine die behandschuhte Rechte auf den Rücken. »Damit sitzt er in der Falle!« Sein bleiches Gesicht war vor Freude gerötet, und in den dunklen Augen glomm der Funken des Sieges. »Verschärft die Belagerung!«, befahl er ungeduldig, warf den Umhang über die Schultern und eilte zu der Stelle, an der die schweren Belagerungsmaschinen seit Tagen Gesteinsbrocken auf die mächtige Verteidigungsanlage des hoch über Issoudun thronenden Bollwerkes schleuderten. Vom Standpunkt des französischen Königs aus, der peinlich darauf achtete, außerhalb der Reichweite der feindlichen Schützen zu bleiben, wirkte die Festung lächerlich inadäquat. Und je länger er auf die im kräftigen Nordwind flatternden Fahnen der Engländer starrte, desto sicherer war er, dass ihm bald der lang ersehnte Erfolg gegen seinen Widersacher beschieden sein würde. Er rechnete bereits in Gedanken das Lösegeld für die Gefangenen zusammen und malte sich die Demütigung des unverschämten Löwenherz aus – der rein rechtmäßig ein Vasall der französischen Krone war – als ihn ein dumpfes Donnern aus den erfreulichen Überlegungen riss. In einer beeindruckenden Wolke aus Qualm und Staub war soeben einer der Rundtürme der äußeren Befestigungsanlage zusammengebrochen. Und noch bevor sich die Schwaden legten, schwappten Dutzende von Philipps Männern über die entstandene Bresche.
Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte er das hitzige Gefecht einige Minuten lang. Doch als die Belagerten die Oberhand gewannen und die Franzosen erfolgreich über den Berg aus Trümmern zurückdrängten, wandte er sich ärgerlich ab. Als sein Blick auf seinen untersetzten Begleiter fiel, runzelte er die Stirn. »Mein Gott, reißt Euch endlich am Riemen!«, fauchte er den abwesend wirkenden Arnauld an, der mit glanzlosen Augen in die Ferne starrte. Sein ohnehin nicht gerade kriegerischer Körperbau wurde durch die hängenden Schultern und das bis auf die Brust gesunkene Kinn unterstrichen. Nicht zum ersten Mal fragte sich Philipp, wie es dieser Mann zu einem gefeierten Heerführer gebracht hatte. Seit der Flucht seiner Gemahlin und dem Fall seiner Festung in Tours ging ihm der Graf immer öfter mit seinem Gewimmer auf die Nerven. Wenn er sich nicht bald wieder unter Kontrolle brachte, dann würde Philipp sich ernsthaft überlegen müssen, ihn härter anzupacken. »Es gibt dutzendweise junge Dinger, die ihr Leben dafür geben würden, mit Euch vermählt zu sein. Vergesst sie einfach!« Müde schüttelte der Gescholtene den Kopf. »Sie ist so wunderschön.« Seine Stimme erstarb, und der französische König verdrehte entnervt die Augen. »Sobald dieser englische Fuchs gehäutet ist, werden wir eine neue Gemahlin für Euch suchen«, versprach er. »Und diese wird Euch nicht davonlaufen, glaubt mir!«
Frankreich, Issoudun im Berry, November 1195
»Mit eiserner Härte befahl Richard Löwenherz die Folterung der Gefangenen. Unter Schreien und Flehen entlockte er ihnen die Pläne Philipps, der seine Streitmacht wie eine Schlinge um die Festung legte.«
»Kommt schon, der König will Euch einen Brief diktieren.« Bevor Richard of Devizes – der auf den ausdrücklichen Befehl von Richard Löwenherz mit in den Süden gezogen war – die Feder niederlegen konnte, hatte Mercadier die Tür wieder zugeknallt und war in den dunklen Korridor verschwunden. Mit zitternden Händen verbarg der junge Mönch die in Lacklands Auftrag geführte Chronik in einem Lederbeutelchen, griff sich die nötigen Utensilien und eilte dem Söldnerführer hinterher. Wie vom Prinzen gefordert, übertrieb er die dunklen Seiten des englischen Königs, während er dessen Erfolge herunterspielte und als Lacklands Verdienste ausgab. Wenn diese Chronik jemals veröffentlicht würde, dann würde Richard Löwenherz keineswegs als der tollkühne Heißsporn, der er war, in die Geschichte eingehen; sondern als eiskalt kalkulierender Politiker, der sich keinen Deut um Ritterehre und die Regeln des Kampfes scherte. Immer häufiger quälten
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