Im Reich der Vogelmenschen
hatte, verdichtet, aber im Südwesten, wo der Mond hinter Kumuluswolken schwebte, lugten Streifen blauen Himmels durch, auf denen Sternenlicht blinzelte. In diesen Höhen mußte starker Wind wehen, denn plötzlich schwamm der Mond in einem der dunkelblauen Fenster. Sein Licht ergoß sich aus einem Spalt, der sich schnell verbreiterte. Weiße Mondstrahlen ergossen sich über das U-Boot und schufen eine Lichtbahn auf der tiefschwarzen See.
Ein Schatten verdunkelte die Mondscheibe. Kenlon, der sich gerade abwenden wollte, schickte seinen Blick noch einmal empor. Dann rang er nach Atem. Seine Hände krallen sich um die Reling.
Die Gestalt eines hochgewachsenen Mannes mit Flügeln war klar als Silhouette gegen den Mond zu erkennen. Die Flügel waren nur teilweise ausgebreitet, und sie bewegten sich nicht. Der Mann wirkte wie ein Geschöpf aus einem Alptraum, als er gespannt auf Kenlon herabstarrte. Dann zog er die Beine an, verlor seine Menschenähnlichkeit.
Ein großer Vogel schwang sich aus dem hellen Mondpfad und verlor sich in der umgebenden Dunkelheit.
*
Minuten vergingen. Das lange, glänzende Boot zischte durch die lange Dünung, ein Ungeheuer, das sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit durch die dunkle See bewegte. Die atomgetriebenen Dampfturbinen ließen den Rumpf rhythmisch erzittern. Ein Kopf schob sich durch die nach unten führende Luke.
»Darf ich heraufkommen, Mister Kenlon?« fragte Tedders.
Kenlon nickte. »Was gibt es?«
Tedders klomm neben ihm auf die Brücke. »Ich hatte Zeit zum Nachdenken«, sagte er. »Über Vögel mit Flügelspannen von achtzehn Fuß, über einen Offizier namens William Kenlon, der bekannt dafür ist, sich nie in einer Entfernung verschätzt zu haben. Und schließlich habe ich über einen Knaben namens Tedders nachgedacht, der nicht klug genug ist, eine Unterhaltung als ernst zu erkennen.« Er brach ab. »Sie haben den Vogel tatsächlich gesehen?«
Es war eine Entschuldigung. Kenlons letzte Worte am Telefon hatten also seinen Zorn erkennen lassen.
Kenlon zögerte. Er überlegte, welche Worte er gebrauchen mußte, um genau zu erklären, was er zuletzt gesehen hatte. Leicht schüttelte er den Kopf.
»Es war dunkel«, sagte er, »und es war dort drüben« – er wies in die Nacht –, »und es war alles in allem nur ein flüchtiger Eindruck.«
»Äronautisch gesprochen, bin ich nur ein Leichtgewicht«, sagte Tedders. »Um ein Haar wäre ich der Air Force beigetreten. Wenn man mich nicht rundweg abgelehnt hätte. Aber hätte es nicht ein sehr langsames, kleines Flugzeug sein können? Schließlich würden viele Stellen zu gern wissen, wie unser Boot ausschaut.«
Kenlon antwortete nicht sogleich. Er schwieg nicht etwa, weil ihm Tedders’ Erklärung des Nachdenkens wert dünkte, sondern weil ihm zu Bewußtsein gekommen war, daß der andere ihn ernst genommen hatte.
Er überlegte angestrengt: Was habe ich gesehen? Einen menschenähnlichen Vogel mit einer Flügelspanne von achtzehn Fuß. War es einem Land gelungen, das uralte Problem zu lösen und Menschen mit brauchbaren Schwingen zu versehen? Es war eine völlig neue Idee, und er brauchte eine Minute, um sich über die Unhaltbarkeit dieser Vorstellung klarzuwerden. Er beendete seine kurze Träumerei mit dem Entschluß, so wenig wie möglich zu sagen. Sein Lächeln umfing die schlanke Gestalt Tedders’.
»Ein Flugzeug dieser Art so weit draußen?« sagte er ungläubig. »Außerdem wäre ein Flugzeug unsern Ortungsgeräten nicht entgangen, und es ist keine Meldung gekommen. Offensichtlich war ich der einzige, der die Beobachtung machte, und ich bin selbst nicht völlig sicher, ob ich …«
»Mister Kenlon.«
Es war die Stimme des Steuermannsmaats. Unwillig über die Unterbrechung wandte Kenlon sich um.
»Haben Sie jemanden zur Spitze des Vorderdecks geschickt, Sir?« fragte Reichert.
»Ob ich – was?« fragte Kenlon.
Er fuhr herum. Dann war er auf dem Deck und jagte auf die Gestalt zu, die sich am Bug festklammerte. Dicht hinter sich hörte er die schweren Schritte Reicherts, während Tedders Befehle durch das Turmluk hinabrief.
Als Kenlon sich näherte, blickte der Mann mit den Flügeln auf. In der’ Dunkelheit wirkten seine großen Augen wie funkelnde Edelsteine. Es war zu dunkel, um seine Gesichtszüge klar erkennen zu können, auch der Körper war nur undeutlich auszumachen.
Aber alles, was zählte, alles, worauf sich Kenlons Interesse nach einem schnellen Blick konzentrierte, war die Tatsache, daß
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