Im Rhythmus der Leidneschaft
Susannah sich wieder einigermaßen klar fühlte, tastete sie herum, bis sie die Bronzefigur fand. Damit kroch sie hinter das Sofa. Ihr Herz klopfte dröhnend laut. Sie sah einen großen Schatten, der sich dem Fenster näherte, die Gardine kurz anhob und nach draußen sah, bevor er sich duckte.
Wieder ein leiser Knall, dann splitterte die Scheibe. Etwas prasselte gegen die Wand.
Waren das Kugeln? Schoss da jemand?
Der Schatten tauchte ab, warf sich einen großen Beutel über die Schulter und griff mit der freien Hand nach ihr, um sie auf die Füße zu ziehen. „Gibt es hier noch einen anderen Weg nach draußen?“
„J. D.?“
„Sei leise. Wir müssen hier raus, und zwar sofort.“
Wortlos zog sie ihn zum Notausgang in ihrem Schlafzimmer, der ins hintere Treppenhaus führte. Von dort kam man in den Keller.
Kurz darauf liefen sie durch die Waschküche auf die Gasse hinter dem Haus.
Entschlossen hielt J. D. ihre Hand fest. Selbst unter diesen Umständen jagte ihr die Berührung einen wohligen Schauer über den Rücken. Seine Finger schmiegten sich perfekt um ihre. Trotz der Wut auf ihn und der Gefahr, in der sie schwebten, fühlte sie sich unsagbar zu ihm hingezogen. Er war zurück.
„Robby hat gerade angerufen“, sagte sie im Laufen. Durch die dünnen Sohlen ihrer Schuhe spürte sie jeden Unrat, mit dem die schmale Gasse übersät war.
„Was ist das für ein Geräusch?“, fragte er flüsternd mit einem Blick auf ihre Handtasche.
„Dein Preis“, erwiderte sie ebenso leise.
„Wirf ihn weg“, drängte er. „Los doch.“
Nein, das brachte sie nicht übers Herz, obwohl sie kaum noch Luft bekam. Ihr Apartment lag jetzt einen Block hinter ihnen, doch J. D. zog sie unerbittlich weiter. Als sie drei Blocks entfernt waren, blieb sie stehen und hielt sich die Seite. „Ich kann in diesen Schuhen nicht rennen, J. D.“
Hastig zog er sie hinter ein paar Mülltonnen, und Susannah hockte sich hin und dachte, dass das schöne Kleid, das er ihr geschenkt hatte, inzwischen wie ein Putzlappen aussehen musste.
J. D. reckte den Hals, um die Gasse einsehen zu können, und je länger Susannah ihn im Profil sah, desto schwerer fiel es ihr, wütend auf ihn zu sein. Sein Körper war angespannt und strahlte trotz der Reglosigkeit eine unglaubliche Energie aus. In seiner Nähe fühlte sie sich sicher.
„Waren das Schüsse?“, fragte sie flüsternd, obwohl sie die
Antwort bereits kannte.
„Ich glaube schon.“
Jemand hatte den Türrahmen und eins der Fenster ihres Apartments getroffen. „Was in aller Welt geht hier vor?“
„Das ist eine lange Geschichte.“
„Wieso schießt jemand auf mich?“ Typisch J. D., jetzt so geheimnisvoll zu tun. „Verdammt, wenn du weißt, was da los ist, dann habe ich ein Recht, das auch zu erfahren.“
„Aber nicht jetzt und hier.“
„Ich laufe keinen Schritt weiter, bevor ich eine Antwort bekomme. Robby hat gesagt, die Explosion des Boots sei kein Unfall gewesen.“
Er drehte sich zu ihr um, und obwohl sie ihn nicht deutlich sehen konnte, wurde ihr heiß. Es juckte sie in den Fingern, ihn zu berühren.
„Du bist ja praktisch barfuß, verdammt“, fluchte er plötzlich.
Empört hob sie den Kopf. „Diese Schuhe hast du mir selbst gekauft.“ Sie war inzwischen völlig durchnässt. Auch ohne es zu sehen, wusste sie, dass die Wimperntusche über ihre Wangen lief. Ihre Strümpfe waren schmutzig und voller Laufmaschen, und ihre Schuhe waren tatsächlich praktisch nutzlos. Sie fing an zu zittern. „Ich hatte nicht damit gerechnet, heute noch durch dunkle Gassen zu sprinten“, fuhr sie ihn an. „Ich hatte auch nicht vor, zu Tode zu kommen. Nicht jeder Mensch ist so glücklich wie du, ins Gras zu beißen.“
Wortlos zog er ein Taschentuch hervor und wischte ihr damit unter den Augen entlang.
Wahrscheinlich ist er der einzige Mann, der heutzutage noch ein Taschentuch mit sich herumträgt, dachte sie. Unterwäsche findet er überflüssig, aber ein Taschentuch für Notfälle hat er immer dabei.
Sanft strich er ihr eine nasse Strähne aus der Stirn. „Komm“, sagte er mitfühlend und stand auf.
„Ich soll dir einfach so folgen?“ Sie richtete sich ebenfalls auf. „Ohne eine Erklärung? Ziemlich vermessen für einen Mann, der bereits den Weg ins Jenseits angetreten hat.“ In diesem Moment war ihre Wut auf J. D. stärker als die Angst. „Lebt man wirklich besser als Toter? Sitzen alle verstorbenen Musiker mit Harfen herum und spielen beglückt?“
Aus
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