Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
ja bekanntlich keine Grenze gesetzt. Sie borgten von den Juden, und wenn sie diese dann töten ließen, waren sie ihre Schulden los. Stumpfsinnige Roheit, neidische Habsucht und organisierte Lüge waren und sind die Beweggründe, um Andersgläubige und Andersdenkende zu verfolgen. Es ist bestimmt nicht das oft strapazierte gesunde Volksempfinden, es ist vielmehr der geschürte Volkswahnsinn, der hier ins Spiel kommt.
Für alle Nichtmediziner sei betont, dass es absolut unmöglich ist, Pest und Lepra auf die genannte Weise zu übertragen. Aber es nützte schon damals nichts, auf das Nächstliegende hinzuweisen, nämlich dass die Juden das gleiche Wasser wie die Christen tränken und doch wohl nicht ihr eigenes Leben gefährden würden.
Kehren wir jedoch zur kriminellen Vergiftung von Einzelpersonen zurück. Schon früh erkannten die Menschen, dass eine langsam sich abspielende chronische Vergiftung viel weniger Aufmerksamkeit erregt als das akute, jäh stattfindende Ereignis. Je ähnlicher die Vergiftungssymptome einer natürlichen Krankheit sind, desto seltener wird eine Vergiftung entlarvt.
So hat Franz Theodor v. Brücke (1908-1970), Pharmakologe und Toxikologe an der Wiener Universität, uns junge Medizinstudenten darauf aufmerksam gemacht, dass der günstigste Zeitpunkt, etwa für einen Giftanschlag mit Arsen, dann gekommen ist, wenn gerade eine kleine Brechdurchfallepidemie umgeht. Da die Arsenvergiftung die gleichen Symptome zeigt, würde der Todesfall eines älteren Menschen kaum Argwohn erregen. Natürlich wussten dies auch die Giftmischer früherer Zeiten, und sie hatten deshalb in den Epochen, als noch Ruhr und Cholera wüteten, mit einer »eingestreuten« Arsenvergiftung recht leichtes Spiel.
Um ein chronisches natürliches Leiden vorzutäuschen ist dagegen
notwendig, Gift und Giftdosis so zu wählen, dass im Ablauf der Erkrankung nichts Extravagantes auffällt. Eingeweihte besaßen darin zu allen Zeiten eine gewisse Geschicklichkeit und hatten auch Erfolg damit. Sie benutzten hauptsächlich zwei der hierfür am besten geeigneten Stoffe, das Blei und das Arsen. Jedes von ihnen kann ein sich langsam steigerndes Siechtum mit Aussicht auf tödlichen Ausgang hervorrufen. Ja, es hieß sogar, manche könnten voraussagen, in welcher Zeit und selbst an welchem Tag ein bestimmtes Gift seine Wirkung tun und Krankheit oder Tod herbeiführen würde. Selbstverständlich gibt es solche Termingifte, »venena ad tempus« nicht, allein schon deshalb, weil jeder Organismus individuell reagiert.
Ich erinnere mich, dass der Wiener Gerichtsmediziner Albin Haberda mit seinem charakteristischen galizisch-tschechisch gemischten Dialekt eindrucksvoll und laut in der Vorlesung zu formulieren pflegte: »Arsenik ist dar Kenig dar Gifte!« 11 Und er hatte recht: Seit Aristoteles (384-322 v. Chr.) haben wir schriftliche Zeugnisse über die Giftwirkung des Arsen. Die Kenntnisse stammten wahrscheinlich aus Asien und gelangten mit den Feldzügen Alexander des Großen (gest. 323 v. Chr.) nach Europa. Hier erlangte das Arsen seinen unrühmlichen Ruf als » Gift der Gifte«. Die Beliebtheit des Arsen, das nun über 2000 Jahre in Gebrauch steht, hatte praktische Gründe. Bereits Mengen ab 0,1 Gramm sind für Erwachsene tödlich, und vor allem ist das Gift geruchund geschmacklos. Es lässt sich überdies leicht verabreichen.
Einen Höhenflug erlebte das Arsen im Italien der Renaissance, als offizielle Preislisten zirkulierten, in denen die Vergiftung herausragender Persönlichkeiten bei garantiert prompter und sorgfältiger Erledigung zu festen Sätzen angeboten wurde. Für die Vergiftung eines Sultans wurden beispielsweise 500 Dukaten gefordert. Päpste waren billiger, ihre Beseitigung kostete
nur 100 Dukaten. Auch das berüchtigte Gift der Borgia, Cantarella enthielt eine Arsenverbindung. Mit diesem Gift wüteten Papst Alexander VI. und sein Sohn Cesare.
Im 17. Jahrhundert erlangte die Aqua Tofana Berühmtheit. Begonnen hat dies mit einer Sizilianerin, die sich Teofania di Adamo nannte und in Palermo eine Giftmischerwerkstätte betrieb. Sie verkaufte eine wässerige Arsenlösung und das Geschäft florierte. Als ihre Machenschaften aufflogen, wurde sie hingerichtet und zwei Nachfolgerinnen übernahmen ihren Betrieb. Diese spezialisierten sich bald auf den Versandhandel: Unter dem Namen Manna von Sankt Nikolaus aus Bari konnte man kleine, flache Glasfläschchen bestellen, geschmückt mit dem Bildnis des heiligen Nikolaus, und
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