Im Saal der Toten
Assistenten, bevor er seinen großen Metallkoffer absetzte und Werkzeuge sowie eine Kamera daraus hervorholte.
»Kann ich mich irgendwie nützlich machen?«, fragte Mike. »Das muss man sich mal vorstellen: Der größte amerikanische Schriftsteller seiner Zeit, der Mann, der den ersten Detektiv der Literaturgeschichte erschuf – ich wette, Coop kennt seine Gedichte auswendig, hab ich Recht, Coop? Und der wohnt die ganze Zeit Tür an Tür mit einer Leiche.«
Andy winkte ab. »Aus dem Weg, Mike. Ich will ein paar Fotos machen, bevor wir das Skelett da rausholen. Irgendwelche Wetten, dass Poe selbst der Mörder war?«
Ich dachte an die Geschichten des Meisters, der das Genre der modernen Kriminalliteratur geschaffen hatte, all die Detektiv-, Grusel- und Horrorgeschichten, die ich seit meiner Jugend kannte.
»Da könnten Sie genauso gut jemanden aus meiner eigenen Familie des Mordes bezichtigen«, sagte Nan. »Brechen Sie mir nicht das Herz!«
»Ihr müsst zugeben«, sagte ich, während Andy mehrere Blitzlichtaufnahmen machte und sein Assistent eine weitere Kamera mit einem Film bestückte, »dass ihn Begräbnisse am lebendigen Leib und andere eigenartige Bestattungsmethoden fasziniert haben.«
»Diese Knochen werden Andy alles verraten«, sagte Mike. »In New York passieren jährlich siebenhundert Morde. Bei wie vielen hat man es nur mit Skelettüberresten zu tun?«
»In den letzten zwölf Monaten war es nur einer«, antwortete Andy.
»Kein Wunder, dass du so aufgeregt bist. Da kannst du dir im neuen Jahr gleich an etwas die Zähne ausbeißen. Vielleicht arbeitest du ausnahmsweise sogar mal für dein Geld.«
»Ich sag euch, was wir tun werden. Zuerst müssen wir noch mehr Ziegel entfernen. Hast du Handschuhe dabei, Mike? Du musst deinen Freund vielleicht stützen, während wir die Mauer weiter abtragen. Dann schauen wir, ob etwas auf dem Boden liegt, das uns hilft, das Skelett zu datieren.«
Mike zog ein Paar Gummihandschuhe aus seiner Gesäßtasche und streifte sie über, während einer von Andys Assistenten Nan und mir jeweils ein Paar zuwarf.
»Wo sind seine Finger?«, fragte Mike.
»Die Fingerknochen sind wahrscheinlich abgefallen. Das ist bei kleinen Knochen oft der Fall.« Andy leuchtete mit der Taschenlampe in den Hohlraum. »Die Wirbelsäule ist noch intakt. Sie hält das Knochengerüst zusammen und fixiert den Kopf auf den Schultern – zumindest jetzt noch. Aber in einem Stück kriegen wir deinen Kumpel da nicht raus. Das wird eine lange Nacht.«
Andy und seine Assistenten, die weiße Laborkittel und Überschuhe trugen, breiteten vor dem Skelett ein Tuch auf dem Boden aus und begannen behutsam die Ziegel wegzuklopfen. Die ersten vier ließen sich leicht entfernen, ohne dass das Skelett nach vorne kippte.
»Darf ich?« Mike nahm einen Ziegelstein und verglich ihn mit einigen anderen, die auf dem Tisch lagen und als Teil des Originalfundaments gekennzeichnet waren. »Sieht so aus, als könnte er genauso alt sein wie die hier.«
»Dieses Haus ist im Laufe der Jahre so oft saniert und restauriert worden, dass die alten Baumaterialien wahrscheinlich hier im Keller gelagert und immer wieder verwendet wurden«, sagte Professor Davis, der das Geschehen aus einer Ecke des Raums verfolgte.
Andy tütete ein paar Ziegelsteine ein und kratzte den Mörtel in einen Umschlag. »Dieser zementähnliche Kitt gibt uns vielleicht Aufschluss darüber, wann die Mauer errichtet wurde.«
Er legte die Tüten in der Reihenfolge, in der die Steine aus der Wand entfernt wurden, vorsichtig auf den Boden, damit sie etikettiert und nummeriert werden konnten.
Ich hob eine Tüte auf und strich die Plastikhülle glatt, um mir den Ziegel genauer anzusehen. Die Glasur war verblasst, aber er hatte wohl einst die Farbe von gebranntem Siena gehabt. Die Außenseite war voller Löcher und Ritzen, an den Ober- und Unterseiten klumpte das graubraune Bindemittel, das die Ziegel an ihrem Platz gehalten hatte.
»Würdet ihr einen Augenblick mit ihm Händchen halten?«, fragte Andy. »Sachte, Mike. Er ist kein Mordverdächtiger.«
Mike und ich folgten Andys Anweisungen und stellten uns rechts und links neben den Dünnen Mann, den Arm unter seinen Ellbogen, während Andy noch einige Zentimeter freilegte, um das Skelett leichter herausnehmen zu können. Ich hatte im Leichenschauhaus oft genug mit Gebeinen zu tun, und als ich an der Universität von Virginia mit einem Medizinstudenten verlobt gewesen war, hatte ich bei meinen nächtlichen
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