Im Saal der Toten
Ruhig, würdevoll, zurückhaltend. Falls der Junge auch nur ein bisschen von seinem Charakter geerbt hat, dann scheidet er als Verdächtiger aus. Maswana versprach, seinen Sohn so bald wie möglich zu uns aufs Revier zu bringen, und er hat sein Wort gehalten.«
»Wie gehen wir jetzt vor?«, fragte ich.
»Wir bringen David herauf. Wenn wir Glück haben, packt er aus«, sagte Peterson. »Andernfalls leiern Sie sich einen hinreichenden Verdacht aus den Rippen. Im schlimmsten Fall nuckelt er an einem Kaffeebecher, wir behalten ihn über Nacht hier, und bis morgen Abend haben wir die Resultate der DANN-Analyse.«
Mercer Wallace ging nach unten, um David Maswana zu holen, aber der Vater ließ sich nicht so leicht abschütteln. Sie kamen zu dritt in das kleine Büro.
Der Lieutenant ging nach draußen, und Mercer stellte mich den beiden Männern vor, die sich mir gegenüber an den unordentlichen Schreibtisch des Captains setzten. Ich erklärte, dass ich David gerne allein befragen wolle.
Der Vater antwortete höflich, aber bestimmt. »Ist mein Sohn festgenommen?«
»Nein, Sir.«
»Brauche ich einen Anwalt?«
»Nein, er befindet sich nicht in Untersuchungshaft. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Aber wenn Sie einen Anwalt dabei haben möchten, dann können wir natürlich warten.«
Maswana sah auf die Uhr. »Ich würde es vorziehen anzufangen. Wir haben nichts zu verbergen.«
»Dann möchte ich Sie bitten, das Zimmer zu verlassen. Lieutenant Peterson wird Ihnen einen bequemen –«
»Ich beabsichtige, hier neben meinem Sohn sitzen zu bleiben, Madam Cooper.«
Es war zu früh, um auf Konfrontationskurs zu gehen. »So geht das nicht, Herr Botschafter. Sie können gerne im Flur Platz nehmen, aber ich werde Ihren Sohn nicht in Ihrer Gegenwart befragen. Ich warte draußen, bis Sie sich entschieden haben, was Sie tun wollen.«
In Anwesenheit eines Elternteils war die ernsthafte Vernehmung eines erwachsenen Verdächtigen unmöglich. Sogar falls David zu einem Geständnis bereit war, würde die Anwesenheit seines prominenten und rechtschaffenen Vaters jede Chance darauf zunichte machen. Die Dynamik veränderte sich total, wenn der Betreffende allein war.
Ich ging in den Mannschaftsraum und gab Peterson etwas Geld, um für David ein Sandwich und für uns alle Kaffee zu besorgen. Wie abergläubische Baseballspieler, die zwischen den Innings ihre Pitcher allein auf der Bank sitzen ließen, kam keiner der Detectives näher, um mit mir zu plänkeln oder mir Tipps zu geben. Mercer und ich steckten in der Ecke unsere Köpfe zusammen und besprachen unsere Strategie.
Zehn Minuten später kam Mr Maswana aus dem Büro.
»Ich akzeptiere Ihre Regeln, Madam Cooper. Aber ich möchte Sie ersuchen, die Befragung einzustellen, sobald David Sie darum bittet.«
»Selbstverständlich.«
Während Mercer und ich dem Jungen Sinn und Zweck der Vernehmung erklärten, brachte ein uniformierter Cop die Tüte aus dem Deli an der Ecke.
Ich schob Maswana das Sandwich und einen Kaffeebecher hin. Falls er von dem Becher trank und ihn auf dem Schreibtisch stehen ließ, handelte es sich um herrenloses Gut, das ich noch heute Abend ohne richterlichen Beschluss oder Geständnis zur DANN-Analyse einreichen konnte.
Ich entfernte den Deckel von meinem Kaffeebecher und nahm einen Schluck. »Wie trinken Sie Ihren Kaffee, David?«
Er winkte ab. »Danke, ich möchte nichts.«
Mercer begann mit einigen Fragen zur Person. Der junge Mann war nervös; er vermied es, uns in die Augen zu sehen, seine Stimme zitterte leicht, und er verschränkte die Hände im Schoß.
Als er von seiner Schulbildung erzählte, erwähnte er keine Schulzeit in England.
»Wo haben Sie studiert?«
Wir wussten, dass auch er in Harvard studiert hatte. Ich wollte hören, wie er den Namen der Uni aussprach und ob er das »ar« ebenso aussprach, wie es Annika Jelt bei dem Wort »Arsch« aufgefallen war. Aber mir fiel kein britischer Akzent auf.
Mercer fragte Daten und Jahreszeiten ab. David drückte sich meistens vage aus, aber schließlich lagen die Ereignisse ziemlich weit zurück.
Während Mercer die Schwerstarbeit machte, musterte ich den Mann, um seine Antworten einzuschätzen. Manchmal machte er einen ernsten und ehrlichen Eindruck, dann wieder war sein Gesicht dem Phantombild so ähnlich, dass ich ihn auf der Stelle in eine Zelle sperren und den Schlüssel wegwerfen wollte. Eine DANN-Analyse würde innerhalb von vierundzwanzig Stunden jede Ungewissheit ausräumen.
Nach einer
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