Im Saal der Toten
Yorker drängten sich an den Tischen, die drei Mal pro Abend eingedeckt wurden.
Adolfo schenkte uns Wein ein und ging, um die Bestellung aufzugeben. Ich erzählte Mike, dass mein Erzfeind, der Seidenstrumpfvergewaltiger, wieder zugeschlagen hatte, und schilderte ihm, wie Mercer und ich Battaglia dazu gebracht hatten, uns die Einwilligung zur DANN-Anklage zu geben.
»Wie geht’s Val?«, fragte ich, während meine Suppe serviert wurde und Mike Brotstangen knabberte. »Sie sah letzte Woche fantastisch aus.«
Mike hatte sich vor zwei Jahren in eine Architektin verliebt, die er kennen gelernt hatte, als sie sich gerade von einer Brustkrebsoperation erholte. In den zehn Jahren, in denen wir uns kannten und zusammenarbeiteten, war es seine erste ernsthafte Beziehung.
»Ja, es geht ihr großartig. Sie hat im Dezember ein einwandfreies Gesundheitszeugnis erhalten. Nach dem blinden Alarm im letzten Herbst war das mein schönstes Weihnachtsgeschenk.«
Mike Chapman war ein halbes Jahr älter als ich, er hatte vor ein paar Monaten seinen siebenunddreißigsten Geburtstag gefeiert. Trotz unserer unterschiedlichen familiären Herkunft waren wir enge Freunde geworden. Ich konnte mir keine besseren Freunde und Partner wünschen als Mike und Mercer, und ich freute mich über ihr Glück, das ihrer beider Leben in jüngster Zeit so grundlegend verändert hatte.
Michael Patrick Chapman war der einzige Sohn eines legendären irischstämmigen Cops, der nach einem Besuch in Irland ein Mädchen aus Cork, der Heimatstadt seiner Familie, geheiratet hatte. Mike und seine drei Schwestern waren in Yorkville aufgewachsen, und sein Vater Brian war überaus stolz, dass Mike als Erster in der Familie studierte. Während Mikes drittem Studienjahr am Fordham College, wo er sich in seinen Geschichtsbüchern vergrub, wenn er nicht gerade kellnerte, um sein Studiendarlehen aufzubessern, erlag sein Vater am ersten Tag seiner Pensionierung einem Herzinfarkt. Mike schloss zwar im darauf folgenden Jahr das Studium ab, schrieb sich aber sofort an der Polizeiakademie ein, um in die Fußstapfen seines geliebten Vaters zu treten.
»Val machte sich gut mit Logan im Arm«, sagte ich.
Wir waren letzte Woche alle zusammen bei Mercer in Queens zum Abendessen eingeladen gewesen. Er und seine Frau Vickee, mit der er zum zweiten Mal verheiratet war, hatten einen einjährigen Sohn namens Logan.
Mit seinen dreiundvierzig Jahren führte Mercer als Ehemann und Vater ein solides Familienleben. Er war einer der wenigen Afroamerikaner, die es bei der New Yorker Polizei in den Rang eines First-Grade-Detective geschafft hatten. Früher hatte er mit Mike in der Mordkommission zusammengearbeitet, zog es aber genau wie ich vor, mit lebenden Opfern zu arbeiten und ihnen als mitfühlender Ermittler zur Seite zu stehen.
»Vor sechs Monaten hätte ich dir so eine Bemerkung wahrscheinlich übel genommen. Aber langsam denke ich, dass es nicht das Schlechteste wäre. Val wünscht sich nichts sehnlicher als ein Kind«, sagte Mike.
Ich lächelte ihn an. »Denk an all die gebrochenen Herzen, wenn sie dich vom Markt nimmt. Offiziell, meine ich.«
»Dir hingegen steht ›Alte Jungfer‹ förmlich auf die Stirn geschrieben. Aber es scheint dir nicht einmal was auszumachen.«
»Ehrlich gesagt bin ich erleichtert«, sagte ich, während Adolfo meinen leeren Suppenteller nahm und unsere Hauptgerichte servierte. Meine Beziehung zu Jake Tyler, einem Fernsehreporter, war letzten Oktober abrupt zu Ende gegangen, nachdem wir uns gefühlsmäßig schon länger auseinander gelebt hatten.
»Ein Arschloch erster Güte, wenn du mich fragst. Mann, ich hätte dich allein wegen deines Hauses auf Martha’s Vineyard geheiratet.«
»Das kannst du immer noch«, sagte ich und schenkte mir Wein nach.
»Du und ich? Allein bei dem Gedanken bricht mir der Angstschweiß aus. Du würdest mir wahrscheinlich die Eier abschneiden, sobald ich mich das erste Mal umdrehe und die Augen zumache. Schlimm genug, dass du mir bei der Arbeit immer sagst, wo’s langgeht. Gar nicht auszudenken, wenn du das auch im Bett versuchen würdest. Das gäbe Mord und Totschlag.«
Ich war wie Mike in einer intakten Familie aufgewachsen, war aber auf ganz anderem Weg in den öffentlichen Dienst gekommen. Als meine beiden älteren Brüder und ich noch klein waren, gelang meinem Vater, Benjamin Cooper, zusammen mit seinem Partner eine bahnbrechende Erfindung auf dem Gebiet der Herzchirurgie. Das unter dem Namen Cooper-Hoffman-Klappe
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