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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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habe damals im sechsten Revier gearbeitet«, sagte Kittredge.
    Wie wir aus dem Polizeibericht wussten, hatte sich der Diebstahl Uptown ereignet, aber Emilys Wohnung im Greenwich Village hatte im sechsten Revier gelegen.
    »Sie kam mit, na ja, mit einer ziemlich bizarren Geschichte ins Revier, und ich war zufällig der Dumme, der an dem Tag die Anzeige aufnahm. Sie kennen das ja, Chapman, oder?«
    »Was war das für eine Geschichte?«
    Kittredge zerknüllte den leeren Pappbehälter in der Faust. »Die arme kleine Emily war so high wie ein Drache. Der diensthabende Wachtmeister schickte sie nach oben. Eine Polizistin sollte sie nach Drogen filzen, weil das, was sie sagte, nicht viel Sinn ergab. Aber außer mir war niemand da. Sie sagte, sie wisse etwas über einen Mord. Sie würde einen Typen kennen, der jemanden umgebracht hatte.«
    »Stimmte das?«
    »Ich hab’s mir angehört. Ich bat sie, mir mehr von dem Typen zu erzählen. Aber sie hatte zu große Angst. Es war ihr Freund, jemand, den sie während einer Therapie kennen gelernt hatte.«
    »Monty? War sein Name Monty?«, fragte Mike.
    »Nein. Vielleicht war das sein Spitzname, aber Emily nannte ihn anders.« Kittredge runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Hey, ich habe seit zwanzig Jahren nicht mehr an die Sache gedacht. Soll ich mich jetzt etwa an den Namen des Kerls erinnern?«
    »Haben Sie ihn denn nicht kennen gelernt? Ich dachte, er und Emily wohnten damals zusammen?«
    »Zu dem Zeitpunkt war sie schon ausgezogen und wohnte im CVJM. Sie hat ihn mir einmal auf der Straße gezeigt. Für mich sah er aus wie ein typischer Village-Idiot. Ein zugekiffter reicher Schnösel, der ein Hippiedasein führen wollte. Die meisten werden früher oder später erwachsen. Als ich mir den Kerl vorknöpfen wollte, war er schon verschwunden. Ich glaube, sie hatten in der Sullivan Street gewohnt. Ich fand keine Spur mehr von ihm.«
    »War er ebenfalls Student?«
    »Damals nicht mehr. Ich glaube, er hatte das Studium geschmissen … oder man hatte ihn rausgeworfen. Laut Emily wollte seine Familie nicht länger für ihn aufkommen. Schwarzes-Schaf-Syndrom.« Kittredge lächelte Mike an. »Das kenne ich gut.«
    »Wen hat er umgebracht?«
    Kittredge lehnte sich gegen den Küchentisch. »Das wusste sie nicht. Sie sagte nur, einen anderen Junkie.«
    »Wo ist es passiert?«
    »Wenn Emily das gewusst hätte, hätte ich vielleicht einen Fall gehabt, oder nicht? Hören Sie, Chapman, die Kleine war völlig high, als sie mir erzählte, dass ihr Freund jemanden lebendig begraben hatte. Ich wusste nicht, wen, ich wusste nicht, wo, und ich wusste nicht einmal, ob sie sich den Freund nur einbildete. Sie hatte von Zeit zu Zeit Halluzinationen.«
    »Hat sie Ihnen gesagt, warum sie davon überzeugt war?«
    Er überlegte einen Augenblick. »Ja. Eines Abends, ein paar Wochen, nachdem Emily die Therapie geschmissen hatte, kam der Kerl von einem Treffen nach Hause –«
    »Sie meinen ein Treffen der Anonymen Alkoholiker?«
    »So was Ähnliches. Ich glaube, es hieß SABA – Student Abusers Anonymous. Ich glaube, er war schon etwas länger als Emily clean und trocken gewesen. Er hatte noch studiert, als er sich der Gruppe angeschlossen hatte. Jedenfalls brachte er in der Nacht ein paar Tütchen Coke mit nach Hause und drehte durch. Sie wurden zusammen high, und da ist er zusammengebrochen.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Er klinkte total aus. Laut Emily drehte er völlig durch. Er erzählte ihr, dass er dauernd diese Rückblenden hätte, seit er trocken war. Er sagte, dass er am Abend bei dem Treffen zwei Leuten gestanden hätte, jemanden umgebracht zu haben. Es waren alles Visionen und Träume, Mumpitz, Alkoholikerblackouts. Aber sobald er es – wie heißt das heutzutage? – mit der Gruppe geteilt hatte, machte er sich Sorgen, dass ihn einer von ihnen verpfeifen würde. Also besorgte er sich die Drogen, um die Nacht zu überstehen und heulte sich bei Emily aus.«
    »Und dann ist sie zu Ihnen aufs Revier gekommen?«, fragte Mike.
    »Sie meinen, ob sie noch in derselben Nacht kam, so wie es sich gehört hätte?«, höhnte Kittredge. »Sie kam weder in der Nacht noch am nächsten Tag, sondern vier Monate später.«
    »Warum?« Ich meldete mich das erste Mal zu Wort.
    »Typisches Weibergeschwätz. Emily wollte es nicht glauben. So ein sensibler Mensch. Ein Dichtergenie, ein brillanter Student, tierlieb, aus einer guten Familie. Sie schrieb es dem weißen Puder zu, das er sich in die Nase gezogen

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