Im Saal der Toten
hatte.«
»Ist sie bei ihm geblieben?«
»Ja. Aber nach dem Ladendiebstahl wurde es immer schlimmer. Ehrlich gesagt, wusste ich nie, ob sie wirklich Angst vor ihm hatte oder ob er sie nur rausgeworfen hatte und sie sonst niemanden hatte.«
»Wie ist sie bei Ihnen gelandet?«, fragte Mike.
»Sie sagte ihrem Anwalt – einem Pflichtverteidiger –, dass sie einen Freund bei der Polizei hätte. Der rief mich an und sagte mir, dass die Staatsanwaltschaft die Klage nur fallen lassen würde, wenn sie einen festen Wohnsitz hätte. Er fragte mich, ob ich sie einen Monat lang bei mir wohnen lassen würde.«
»Haben Sie und Emily –«
»Das geht Sie verdammt noch mal nichts an, Chapman.«
»Aber Sie haben in dem Fall ermittelt?«, fragte ich. »Ich meine, haben Sie mit Dritten über SABA gesprochen?«
Kittredge sah Mike an, während er meine Frage beantwortete. »Das war schwierig. Als Emily zu mir zog, waren Sommerferien. Die Therapiesitzungen waren vertraulich – Sie kennen die Gesetze, Suchttherapien unterliegen der Schweigepflicht –, also besaß die Uni keine Unterlagen darüber, wer daran teilgenommen hatte.«
»Also hatten Sie nur ein halbherziges Geständnis, das im Kokaindelirium zustande gekommen war«, sagte Mike.
»Keine Leiche, kein Tatort, nicht einmal einen Verdächtigen, dessen ich habhaft werden konnte. Ich habe die Sache ein paar Monate mit mir herumgeschleppt«, sagte Kittredge.
Wahrscheinlich solange Emily mit ihm in die Kiste stieg, dachte ich.
»Dann pfiff mich mein Boss zurück. Seiner Meinung nach wollte sie nur ihrem Exfreund übel mitspielen, weil er ihr den Laufpass gegeben hatte. Und wir konnten ja nicht ganz Manhattan umbuddeln, ohne überhaupt eine Vermisstenmeldung zu haben.«
»Haben Sie eine Akte über den Fall angelegt?«, fragte Mike.
»Ich habe den üblichen Papierkram erledigt. Damals hatten wir noch keine Computer.«
»Haben Sie einige der Akten mitgenommen? Vielleicht mit den Namen –«
»Wofür? Für meine Memoiren?« Kittredge ging lachend zur Tür und legte seine Hand auf den Türknauf.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir noch einmal vorbeikommen, sobald wir mehr Informationen haben?«, fragte Mike.
»Verschwenden Sie nicht meine Zeit. Emily hatte nicht gerade einen guten Geschmack, was Männer anging. Wahrscheinlich hat sie wieder irgendeinen abgefuckten Säufer aufgegabelt. Sie konnte einfach nicht die Finger von der Flasche lassen.«
Auf dem Treppenabsatz vor dem Haus klingelte Mikes Handy. Er klappte es auf und meldete sich mit Hallo. Die Atemwölkchen in der Kälte ließen ihn aussehen, als würde er innerlich kochen. Kein Wunder nach der Unterredung mit Kittredge.
»Wo? Weiß Scotty Taren darüber Bescheid?«, fragte Mike. Die Antworten schienen ihm zu gefallen. »Danke, Hal. Ich schuld dir was.«
Ich wartete, bis er mir die Autotür aufgemacht hatte. Dann knallte er die Fahrertür hinter sich zu und schürzte die Lippen. »Das war Hal Sherman. Sieht so aus, als wäre der Druck für Dr. Ichiko zu viel gewesen. Er hat sich heute umgebracht. Seine Leiche wurde soeben in der Bronx gefunden.«
19
»Warum hat Hal dich angerufen?«, fragte ich. »Es ist doch jetzt Scottys Fall.«
»Weil Scotty ein feiner Kerl ist. Als Hal ihn kontaktierte, bat Scotty ihn, sich dumm zu stellen und mir zuerst Bescheid zu geben. Schließlich war ich in dem Keller, als man das Skelett gefunden hat. Also ist es nur logisch, dass Hal zuerst mich anruft, um herauszufinden, dass Taren jetzt für den Fall zuständig ist. Und woher sollte ich wissen, dass McKinney ihm verboten hat, mit dir darüber zu reden?«
»Denk ja nicht, dass du mich hier lassen kannst.«
»McKinney dreht durch, wenn du dich am Tatort blicken lässt, Coop.«
»Genau deshalb möchte ich erst recht hin. Du erzählst mir andauernd, wie sehr mir die Bronx gefallen würde. Bis jetzt beschränkt sich meine Kenntnis der Bronx aufs Yankee-Stadion. Das ist deine Chance, mir die Attraktionen des Stadtteils zu zeigen.«
»Ich wollte nicht unbedingt mit einer Leiche anfangen.«
Mike hatte am Fordham College studiert und liebte die vielfältige Geschichte des Viertels, das im siebzehnten Jahrhundert einem schwedischstämmigen Farmer namens Jonas Bronck gehörte, der sich als erster europäischer Siedler auf dem Festland nordöstlich von Manhattan niedergelassen hatte.
» Crime Factor wird heute Abend wohl eine Wiederholung senden müssen. Na los, dann wollen wir mal sehen, was diesem geldgierigen
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