Im Saal der Toten
die Griffe des Rollstuhls und schob mich rückwärts durch die Doppeltür.
Als wir den Flur entlangfuhren, sprang Mike von einer Bahre und packte die Rollstuhlgriffe.
»Hör zu, es tut mir Leid –«
»Komm mir heute Abend lieber nicht unter die Augen! Nimm die Finger weg! Von dir würde ich mich nicht einmal bis zur Cafeteria schieben lassen. Ich fass es nicht, dass du einfach auf und davon bist und mich im Stich gelassen hast! Was hast du dir bloß dabei gedacht? Wo ist Mercer?«
»Ich bin hier, Alex.« Er tauchte neben mir auf und nahm meine Hand. »Du weißt, dass Mike kein herzloses Arschloch ist. Er ist einfach nicht so ein Profi wie ich. Vielleicht muss er an der Akademie noch mal einen Auffrischungskurs belegen. Wir hätten den Park nie ohne dich verlassen.«
»Welche Zimmernummer, Pops?«, fragte Mike den älteren Herrn.
»Sechshundertdreißig. Der Lift geradeaus.«
»Ich brauche einen Drink.«
»Geht nicht, Kid. Das verträgt sich nicht mit deinen Schmerztabletten.«
»Warum kann ich nicht einfach die Medikamente nehmen und nach Hause gehen?«
»Weil derjenige, der deinem Dickschädel eine Delle verpassen wollte«, sagte Mike, »eine beträchtliche kleine Beule hinterlassen hat, die man blondieren müsste, falls sie noch weiter wächst. Ich wusste, dass wir beide früher oder später Doktorspielchen machen würden.«
Ich sah Mercer an. »Es ist mein Ernst. Ich will ihn wirklich nicht sehen. Ich will ihn nicht in meiner Nähe haben. Das ist schlecht für meinen Blutdruck.«
»Willst du eine Entschuldigung, Blondie? Ist es das, was du willst?«
»Ich will allein sein«, sagte ich in meiner besten Garbo-Imitation.
Im Aufzug plapperte Mike weiter. »Soll ich mich auspeitschen und ein Büßerhemd anziehen, weil mir nicht in den Sinn kam, dass du vielleicht irgendwo lebendig vergraben bist? Willst du das? Die ganze Sache belegt übrigens nur meine Theorie, dass dir das nie passiert wäre, wenn du etwas mehr Fleisch auf den Rippen hättest.«
»Mercer, sorg dafür, dass er die Klappe hält!«
»Fette Leute sind schwerer zu kidnappen. Stimmt’s, Mr Wallace? In der Zeitung steht nie, dass ein Entführungsopfer 150 Kilo wog. Es sind immer so hagere Tussis wie du. Das ist eine schlichte Tatsache, und dagegen lässt sich etwas tun, junge Frau.«
Vor der Schwesternstation betätigte er die Bremsen meines Rollstuhls, nahm einen Blumenstrauß vom Tisch und fiel vor der versammelten Mannschaft von Ärzten, Pflegepersonal und Besuchern auf die Knie.
»Coop, ich schwöre, dass ich dich nie wieder im Stich lassen werde, solange ich lebe. Ich werde nie wieder ein schlechtes Wort über dein Parfüm oder deine Schuhe, deine Haarfarbe oder deine Launen verlieren –«
Ich löste die Bremse und fuhr in Richtung des Krankenhausflügels, in dem sich mein Zimmer befand.
»Wenn ich dich das nächste Mal nicht finden kann, schaue ich unter jedem Bett und in jedem Schrank nach und reiße alle Bodenbretter raus.«
»So viel zu meiner Anonymität«, sagte ich zu Mercer. »Wenn bis jetzt niemand wusste, wer ich bin, dann wird man es jetzt leicht herausfinden können.«
Eine Schwester kam hinter uns ins Zimmer und nahm meinem verdutzten Begleiter die Krankenakte aus der Hand. »Brauchen Sie Hilfe, um ins Bett zu kommen? Dr. Schrem hat angerufen. Er wird später noch einmal nach Ihnen sehen.«
Sie wartete, bis ich mich hingelegt hatte, schob das Bettgitter hoch und verließ dann gemeinsam mit dem älteren Herrn das Zimmer.
»Wie fühlst du dich? Geht es dir gut?«, fragte Mercer.
»Ich fühle mich sicher, weich und sauber. Aber ›gut‹ ist nicht unbedingt das Wort, das mir heute Abend in den Sinn kommen würde.«
Mike tauchte, den Arm voller tropfender Blumensträuße, im Türrahmen auf. Es waren bestimmt zehn, zwölf Sträuße in den buntesten Farben, er musste in allen Zimmern gewesen sein, um den Patienten ihre Blumen abzuschwatzen.
»I’m just a fool whose intentions are good«, sang er und legte die nassen Blumen auf das frische weiße Laken. »Oh, Lord, please don’t let me be misunderstood.«
Ich verdrehte die Augen und blickte dann zu Mercer, der am Fensterbrett lehnte. »Der Einzige, der wusste, dass wir in dem Cottage waren, war Zeldin. Und Phelps, der Parkverwalter, hat es wohl auch mitbekommen. Und Gino Guidi. Vielleicht drei Leute. Das müsste euch doch für den Anfang weiterhelfen, oder?«
»Zerbrich dir heute Abend nicht weiter den Kopf darüber, Alex. Wir kümmern uns schon drum.«
»Ich lag
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