Im Schatten der Akazie
zwei weißen Segeln gen Abydos. Im Bug genoß Ramses das nie gesättigte Vergnügen, sein Land vom Wasser aus zu bewundern.
340
Keinen Widerspruch duldend, hatte Kha den Ritualpriestern und dem Hof kundgetan, daß er mit seinem Vater reisen werde, um den Apis-Stier ausfindig zu machen und nach Sakkara zu bringen. Da ihm die schlimmen Folgen eines Fehlschlages bewußt waren, weigerte sich der Oberpriester, sie ins Auge zu fassen.
»Wir sind gleich da«, sagte er zum Herrscher.
»Diese Fahrt erschien mir so kurz … Wenn soviel Schönheit auf einen einstürmt, verliert man das Gefühl für die Zeit.«
Die Priesterschaft von Abydos empfing den König vollzählig an der Anlegestelle, und der Oberpriester begrüßte seinen Amtsbruder Kha.
»Kommt Seine Majestät zur Vorbereitung der Osiris-Mysterien?«
»Nein«, antwortete Kha, »mein Vater ist überzeugt, daß sich der neue Apis-Stier hier befindet.«
»Wäre dies der Fall, hätten wir Seine Majestät davon in Kenntnis gesetzt. Auf wessen Kunde beruft er sich?«
»Das weiß nur er.«
Der Oberpriester von Abydos war bestürzt.
»Hast du nicht versucht, es ihm auszureden?«
»Er ist Ramses.«
Jeder erwartete, daß der Herrscher das umliegende Weideland durchstreifen werde, doch er schritt entschlossen in Richtung Wüste, zu den Gräbern der Pharaonen aus den ersten Dynastien.
Dort, im Schatten von Tamarisken, sah er ihn.
Es war ein prächtiger schwarzer Stier, der den Kopf hob und dem auf ihn zukommenden Mann entgegenblickte.
Genau dieses Bild hatte der Pharao in seinem Traum gesehen, den ihm die Gemeinschaft der Apis-Stiere beschert hatte.
341
Der Vierbeiner zeigte keinerlei Angriffslust. Man hätte schwören mögen, er finde nach langer Trennung einen alten Freund wieder.
Auf der Stirn des Stieres saß ein weißes Dreieck, auf seiner Brust und seinem Rücken eine Mondsichel, und der Schwanz wies schwarze und weiße Haare auf.
»Komm, Apis, ich bringe dich in dein Haus.«
Als das königliche Boot am Hauptkai des Hafens von Memphis anlegte, feierte bereits die ganze Stadt. Auch aus Pi-Ramses waren Würdenträger eingetroffen, um den neuen Apis zu bewundern, dessen Kraft es dem Pharao gestatten sollte, noch viele Jahre zu herrschen. Selbst Ameni hatte die Fahrt auf sich genommen, allerdings nicht mit der Absicht, den Festlichkeiten beizuwohnen, sondern als Überbringer unangenehmer Nachrichten.
Von der Menge bejubelt, verließen der Stier und der König das Schiff und strebten dem Tempel des Ptah zu, wo die Verkörperung des Apis fortan auf einer großen Weide neben dem Heiligtum leben würde, umgeben von Kühen, von denen die einen hinreißender waren als die anderen.
Vor dem Tor vollzog sich ein uraltes Ritual: Eine als ehrbar bekannte Frau von hohem Stand und untadeligem Ruf trat dem Stier gegenüber. Dann hob sie ihr Kleid bis über den Bauch und entblößte ihr Geschlechtsteil. Auf diese Weise hieß die Priesterin der Hathor unter dem Gelächter der Menge den Zuchtbullen willkommen, der die Kühe, die heiligen Tiere der Göttin, befruchten und die Nachfolge der Apis-Stiere sichern sollte.
Uriteschup, in der ersten Reihe der Zuschauer, wußte nicht mehr, wohin er seinen Blick wenden sollte. Diese ungewöhnliehe Szene, diese schamlose Frau, die auch selbst schallend lachte, dieser gleichmütige Stier und dieses Volk, das 342
seinem König huldigte … diesem Ramses, dem anscheinend nicht beizukommen war!
Jeder andere hätte aufgegeben, doch Uriteschup war Hethiter, ein Feldherr, und der Pharao hatte ihn um seinen Thron gebracht. Nie würde er ihm verzeihen, daß er dieses ehedem eroberungslüsterne und siegreiche hethitische Volk zu einer Horde furchtsamer Memmen gemacht hatte, die sich vor ihrem Feind von gestern verneigten.
Das große zweiflügelige Tor des Tempels schloß sich wieder.
Während die Bevölkerung draußen tanzte, sang und auf Kosten des Pharaos aß und trank, setzten drinnen Ramses, Kha und eine Gruppe auserwählter Ritualpriester den neuen Apis feierlich in sein Amt ein. Den Höhepunkt der Zeremonie bildete der Lauf des Stieres mit der Mumie des Osiris auf seinem Rücken, mit dem wieder zusammengesetzten und zu neuem Leben erweckten Leib des Gottes, der den Tod besiegt hatte.
»Wie kann man bloß Reisen so lieben?« murrte Ameni. »Und unterdessen häufen sich auf dem Tisch in meinem Arbeitszimmer die unangenehmen und dringenden Dinge!«
»Wenn du dich aus Pi-Ramses fortbegeben hast«, bemerkte Ramses, »dann bestimmt
Weitere Kostenlose Bücher