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Im Schatten der Akazie

Im Schatten der Akazie

Titel: Im Schatten der Akazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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eher eine Geiselnahme?
    Die Hoffnungen des Hofes ruhten nur noch auf einem Menschen: dem Obersten Arzt des Königreiches. Wenn es dem nicht gelang, die Pein des Herrschers zu lindern, drohte sich dessen Laune noch zu verschlechtern.
    Trotz seiner Qual setzte Ramses die Arbeit fort, gemeinsam mit dem einzigen Wesen, das ihn in einem solchen Augenblick ertragen konnte: mit Ameni, der selbst mürrisch war und das gezierte Getue der Hofschranzen verabscheute. Wenn man 94

    gewissenhaft seine Pflicht erfüllte, brauchte man nicht liebenswürdig zu sein, und des Königs Unfreundlichkeit war kein Hindernis, sich wichtige Schriftstücke vorzunehmen.
    »Hattuschili macht sich lustig über Ägypten«, behauptete Ramses.
    »Vielleicht sucht er nach einem Ausweg«, räumte Ameni ein.
    »Daß du dich weigerst, seine Tochter zu heiraten, ist eine Kränkung, die er nicht hinnehmen kann, andererseits möchte er auch nicht derjenige sein, der die Entscheidung trifft, erneut Krieg zu führen.«
    »Dieser alte Fuchs wird die Verantwortung auf mich abwälzen.«
    »Acha hat bestimmt seinen ganzen Scharfsinn eingesetzt. Ich bin überzeugt, daß Hattuschili nicht mehr weiß, was er machen soll.«
    »Du irrst! Der sinnt nur auf Rache.«
    »Sobald dir Acha die nächste Botschaft zukommen läßt, erfahren wir die Wahrheit. Dank seiner Geheimschrift merkst du schnell, ob er in aller Freiheit verhandelt oder ob er gefangengenommen wurde.«
    »Er wird offenkundig gegen seinen Willen festgehalten.«
    Da klopfte es leise an die Tür.
    »Ich möchte niemanden sehen«, befand der König.
    »Vielleicht ist es der Oberste Arzt«, wandte Ameni ein, während er hinging, um zu öffnen.
    Draußen stand der Erste der Kammerherren und zitterte vor Angst beim bloßen Gedanken, daß er den Herrscher stören mußte.
    »Der Oberste Arzt ist eingetroffen«, flüsterte er. »Willigt Seine Majestät ein, ihn zu empfangen?«
    Der Kammerherr und Ameni traten beiseite, um eine junge 95

    Frau vorbeizulassen, die so schön war wie eine Morgenröte im Frühling, wie erblühender Lotos, wie eine glitzernde Welle mitten im Nil. Ihr Haar spielte ins Blonde, das Gesicht wies sehr klare, zarte Züge auf, und die sommerblauen Augen blickten aufrichtig. Um ihren schmalen Hals lag eine Kette aus Lapislazuli, und Karneole schmückten ihre Handgelenke und die Fesseln. Ihr Leinenkleid ließ die hochangesetzten, festen Brüste ebenso erahnen wie die wohlgeformten Hüften und die langen, schlanken Beine. Neferet, »die Schöne, die Vollkommene« … Wie hätte sie auch anders heißen können?
    Selbst Ameni, der kaum Zeit fand, sein Augenmerk auf Frauen zu richten, auf diese flatterhaften Geschöpfe, die nicht imstande waren, sich stundenlang ausschließlich mit einem Papyrus zu beschäftigen, ja selbst er mußte zugeben, daß diese Frau in ihrer Schönheit mit Nefertari hätte wetteifern können.
    »Du kommst sehr spät«, beklagte sich Ramses.
    »Das tut mir leid, Majestät, aber ich hielt mich außerhalb der Stadt auf und nahm einen chirurgischen Eingriff vor, von dem ich hoffe, daß er das Leben eines kleinen Mädchens gerettet hat.«
    »Deine Amtsbrüder sind unfähige Dummköpfe!«
    »Die Heilkunde ist Wissenschaft und Kunst zugleich; mag sein, daß es ihnen an Fingerspitzengefühl gemangelt hat.«
    »Zum Glück hat sich der alte Pariamakhou bereits zur Ruhe gesetzt. Für alle, die er nicht mehr behandelt, besteht die Aussicht, daß sie gerettet werden.«
    »Aber du, Majestät, du leidest.«
    »Ich habe keine Zeit zu leiden, Neferet. Heile mich so schnell wie möglich!«
    Ameni rollte den Papyrus ein, den er Ramses kurz zuvor unterbreitet hatte, nickte Neferet zu und kehrte in seine Schreibstube zurück. Der Sandalenträger des Pharaos ertrug weder Schmerzensschreie, noch konnte er Blut sehen.
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    »Geruht Deine Majestät, den Mund zu öffnen?«
    Neferet untersuchte ihren erlauchten Patienten. Ehe sie den begehrten Rang eines Arztes der allgemeinen Heilkunde erlangte, hatte sie auf vielen Fachgebieten Wissen erworben und angewandt, von erkrankten Zähnen über Augenleiden bis hin zur Chirurgie.
    »Ein sachkundiger Zahnheiler wird dir Linderung verschaffen, Majestät.«
    »Das wirst du sein und kein anderer.«
    »Ich kann dir einen Spezialisten vorschlagen, der eine sehr sichere Hand hat …«
    »Du wirst mir helfen, und zwar unverzüglich. Sonst steht dein Amt auf dem Spiel.«
    »Dann komme mit mir, Majestät!«

    Die Räume des Palastes, in denen Kranke behandelt und

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