Im Schatten der Akazie
gepflegt wurden, waren sonnig und gut durchlüftet. An den weißen Wänden prangten Darstellungen von Heilpflanzen.
Dem König wurde bedeutet, sich in einen bequemen Sessel zu setzen und den Kopf nach hinten zu neigen, bis sein Nacken auf einem Kissen ruhte.
»Um die schmerzende Stelle zu betäuben«, erklärte Neferet,
»werde ich eines der Mittel verwenden, die Setaou zubereitet hat. Du wirst nichts spüren.«
»Was ist das für eine Krankheit?«
»Eine Fäule, die einen Zahn ausgehöhlt, zu Entzündungen geführt und ein eitriges Geschwür verursacht hat, das ich entleeren muß. Es wird nicht nötig sein, den Zahn zu ziehen.
Ich fülle ein Gemisch aus Harzen und mineralischen Stoffen hinein und ‹verstopfe das Übel›, wie wir Ärzte zu sagen pflegen, mit einer dafür besonders geeigneten Masse. Sie besteht aus Ocker, Honig, Quarzitpulver, zerschnittener 97
Sykomorenfeige, Bohnenmehl, Kreuzkümmel, Koloquinte, Zaunrübe und Akazienharz.«
»Wie hast du diese Zutaten ausgewählt?«
»Ich verfüge über Schriften der Heilkunde, die von den Weisen früherer Zeiten verfaßt wurden, Majestät, und ich überprüfe die Zusammensetzung mit meinem liebsten Gerät.«
Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt Neferet einen Leinenfaden, an dessen Ende ein kleines Stück rautenförmig geschliffener Granit pendelte. Über dem richtigen Mittel begann er sehr schnell zu kreisen.
»Du machst dir also auch die Erdstrahlen zunutze, wie mein Vater.«
»Und wie du selbst, Majestät. Hast du nicht in der Wüste Wasser gefunden? Dieser kleine Eingriff, den ich vornehmen werde, ist noch nicht alles. Danach mußt du dein Zahnfleisch pflegen, indem du jeden Tag eine Paste kaust, die aus Zaunrüben, Wacholder, Wermut, Sykomorenfeigen, Weihrauch und rotem Ocker besteht. Falls dich erneute Pein befällt, trinkst du einen Absud aus Weidenrinden, das ist ein sehr wirksames Mittel, um Schmerzen zu lindern.«
»Hast du mir noch mehr Unerfreuliches zu sagen?«
»Dein Pulsschlag und der Hintergrund deiner Augen lassen erkennen, daß dir außergewöhnliche Kräfte innewohnen, mit denen du viele Krankheiten schon im Keim ersticken kannst, aber dein Alter wird von Gliederschmerzen begleitet sein …
Und damit mußt du dich abfinden.«
»Hoffentlich sterbe ich vorher!«
»Du verkörperst den Frieden und das Glück, Majestät. Ganz Ägypten wünscht sich, daß du ein sehr hohes Alter erreichst.
Deine Gesundheit zu pflegen ist eine vordringliche Pflicht.
Erlangen die Weisen nicht einhundertundzehn Jahre? Ptah-hotep hat bis zu diesem Alter gewartet, ehe er seine Lehren 98
niederschrieb.«
Ramses lächelte.
»Während ich dir zusehe und zuhöre, schwindet der Schmerz.«
»Das kommt vom Betäubungsmittel, Majestät.«
»Bist du mit den Maßnahmen, die ich zur Aufrechterhaltung der Gesundheit anordne, zufrieden?«
»Ich werde bald meinen jährlichen Bericht abfassen. Alles in allem ist die Lage zufriedenstellend, doch man wird wohl an öffentlichen Stätten und in den Wohnhäusern nie genug Sauberkeit erzielen. Dabei ist sie die wirksamste Vorkehrung und dank ihrer bleibt Ägypten von Epidemien verschont. Dein Vorsteher der Beiden Weißen Häuser darf nicht geizen beim Ankauf teurer und seltener Stoffe, die zur Zubereitung von Heilmitteln verwendet werden. Wie ich höre, wird die übliche Lieferung an Olibanum ausbleiben, darauf kann ich aber nicht verzichten.«
»Sei ohne Sorge, unsere Vorräte sind reichlich.«
»Bist du bereit, Majestät?«
Angesichts Tausender kampfeswütiger Hethiter bei Kadesch hatte Ramses nicht gezittert, doch als er die Gerätschaften der Heilkundigen sich seinem Mund nähern sah, schloß er die Augen.
Ramses’ Streitwagen fuhr so schnell, daß Serramanna ihm nur mit Mühe folgen konnte. Seit Neferet ihn aus ihrer erstaunlich wirksamen Obhut entlassen hatte, legte der Herrscher doppelte Tatkraft an den Tag. Nur Ameni war trotz seiner Rückenschmerzen imstande, mit seinem Arbeitsrhythmus Schritt zu halten.
Ein verschlüsselter Brief von Acha hatte Ramses beruhigt.
Der Oberste Gesandte war nicht in Gefangenschaft geraten, sondern hielt sich aus freien Stücken in Hattuscha auf, um 99
Verhandlungen von unbestimmter Dauer zu führen. Wie Ameni vermutet hatte, schreckte der hethitische König davor zurück, sich in ein kriegerisches Abenteuer ungewissen Ausgangs zu stürzen.
Als die Überschwemmung in Unterägypten zurückwich und die sanfte Wärme des ausklingenden Sommers auf den Leib wie Balsam
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