Im Schatten der Akazie
Sowie dieses Festmahl zu Ende ist, komme ich zu euch.«
Als der letzte Gast gegangen war, fiel Tanit dem Hethiter um den Hals. In ihr brannte ein Feuer, das nur er zu löschen vermochte. Mit beinahe sanfter Hand führte er sie zum Schlafgemach, zu ihrem Liebesnest voll prunkvoller Möbel, Blumen und Räuchergefäße.
Noch ehe sie durch die Tür trat, riß sich die Phönizierin das 91
Kleid vom Leib.
Uriteschup stieß sie in den Raum hinein.
Zunächst dachte Tanit, das sei ein neues Spiel, doch dann erstarrte sie vor Schreck, als sie den syrischen Kaufmann Raia in Gesellschaft eines Fremdlings erblickte, eines Mannes mit kantigem Gesicht, gelocktem Haar und schwarzen Augen, in denen Grausamkeit und Wahnsinn glommen.
»Wer … wer ist das?« fragte sie.
»Es sind Freunde«, antwortete Uriteschup.
In blankem Entsetzen griff sie nach einem linnenen Bettuch und bedeckte die Blöße ihrer üppigen Formen. Auch Raia war fassungslos, denn er verstand nicht, weshalb der Hethiter die Phönizierin zu dieser Zusammenkunft mitgebracht hatte. Nur der Mann mit den grausamen Augen ließ keinerlei Regung erkennen.
»Ich möchte, daß Tanit alles hört, was hier gesagt wird«, erklärte Uriteschup, »als unsere Mitverschworene und Verbündete. Fortan wird ihr Vermögen unserer Sache dienen.
Aber falls sie auch nur die geringste Unbesonnenheit begeht, soll sie sterben. Sind wir uns da einig?«
Der Unbekannte nickte, und Raia tat es ihm gleich.
»Du siehst, mein Liebling, du hast keine Aussicht, uns dreien oder denen, die uns gehorchen, zu entrinnen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Ja … o ja!«
»Ist uns deine bedingungslose Unterstützung sicher?«
»Ich gebe dir mein Wort darauf, Uriteschup.«
»Du wirst es nicht bereuen.«
Mit der rechten Hand strich der Hethiter sachte über die Brüste seiner Gemahlin. Im Nu verflog die panische Angst, die Tanit gepackt hatte.
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Dann wandte er sich Raia zu.
»Stelle mir deinen Gast vor!«
Der syrische Kaufmann beruhigte sich und begann stockend zu sprechen.
»Wir haben Glück, großes Glück … Unserem Spionagenetz stand früher ein libyscher Magier namens Ofir vor. Er hatte der königlichen Familie schwere Schläge versetzt, doch trotz seiner außerordentlichen Fähigkeiten wurde er festgenommen und hingerichtet. Für uns war das ein herber Verlust. Doch es gibt jemanden, der willens ist, die Fackel weiterzutragen und Ofir zu rächen: seinen Bruder, Malfi.«
Uriteschup musterte den Libyer von Kopf bis Fuß.
»Ein löblicher Vorsatz … Aber über welche Mittel verfügt er?«
»Malfi ist der Anführer des am besten bewaffneten Stammes der Libyer. Ägypten zu bekämpfen ist für ihn der einzige Grund zu leben.«
»Ist er damit einverstanden, mir ohne Widerspruch zu gehorchen?«
»Er wird sich deinen Befehlen unterstellen, vorausgesetzt, daß du Ramses und sein Reich vernichtest.«
»Der Handel gilt. Du wirst als Mittler zwischen mir und unserem libyschen Verbündeten dienen. Seine Männer sollen sich im Kämpfen üben und für einen Angriff bereit halten.«
»Malfi weiß sich in Geduld zu fassen, Hoher Herr. Die Libyer hoffen schon seit so vielen Jahren darauf, die Kränkungen, die der Pharao ihnen zugefügt hat, mit Blut abzuwaschen.«
»Er soll meine Anweisungen abwarten.«
Der Libyer verschwand, ohne auch nur ein Wort gesprochen zu haben.
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DREIZEHN
BWOHL DIE SONNE schon lange am Himmel stand, la
O g der Palast von Pi-Ramses noch in tiefem Schweigen.
Jeder ging zwar seiner Beschäftigung nach, rief aber dabei möglichst wenige Geräusche hervor. Von den Köchen bis zu den Dienerinnen in den Gemächern bewegten sich alle so lautlos wie Schatten.
Der Zorn des Königs hatte sie in Angst und Schrecken versetzt. Sogar die schon sehr alten Bediensteten, die ihn seit seiner Jugend kannten, hatten ihn noch nie in diesem Zustand gesehen. Gleich einem Gewittersturm, der seine Opfer wie betäubt zurückläßt, kam die Macht des Gottes Seth zum Ausbruch.
Ramses hatte Zahnschmerzen.
Mit fünfundfünfzig Jahren fühlte er sich zum erstenmal in seinem Leben durch ein körperliches Leiden beeinträchtigt.
Wütend über die dürftige Behandlung, die ihm die Zahnheilkundigen des Palastes hatten angedeihen lassen, befahl er ihnen, ihm aus den Augen zu gehen. Allein Ameni wußte, daß der Ingrimm des Pharaos noch eine andere Ursache hatte: Hattuschili hielt Acha unter dem Vorwand weiterer Verhandlungen in der hethitischen Hauptstadt zurück. War das nicht
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