Im Schatten der Akazie
ungeheuerlich?«
»Im Gegenteil«, befand Ameni. »Wie ließe sich die endgültige Aussöhnung zwischen den beiden Völkern augenfälliger besiegeln? Wenn du in diese Eheschließung einwilligst, verzieht sich das Gespenst des Krieges für viele Jahre. Stell dir das Fest vor, das dein Vater Sethos und deine Mutter Tuja inmitten der Gestirne feiern werden. Und ich will erst gar nicht die Erinnerung an Acha heraufbeschwören, der sein Leben hingegeben hat, um einen dauerhaften Frieden zu schaffen.«
»Du entwickelst dich zu einem beängstigenden Redner, Ameni.«
»Ich bin nur ein Schreiber von schwacher Gesundheit, ohne große Klugheit, doch ich habe die Ehre, die Sandalen des Herrn der Beiden Länder zu tragen. Und ich möchte nicht, daß sie aufs neue mit Blut befleckt werden.«
»Die Gesetze der Maat gebieten dir, gemeinsam mit einer Großen königlichen Gemahlin zu herrschen«, rief ihm Setaou ins Gedächtnis. »Wenn du diese fremdländische Prinzessin erwählst, erringst du den schönsten Sieg.«
»Ich verabscheue diese Frau jetzt schon.«
»Dein Leben gehört nicht mehr dir, Ramses, und Ägypten fordert dieses Opfer von dir.«
»Und ihr, meine Freunde, ihr fordert es auch!«
Ameni und Setaou nickten.
»Laßt mich allein, ich muß nachdenken.«
Ramses brachte die Nacht auf dem Hügel zu. Nachdem er der aufgehenden Sonne gehuldigt hatte, verweilte er noch ein 149
wenig im Tal der Königinnen, dann kehrte er zu seiner Eskorte zurück. Wortlos bestieg er seinen Wagen und trieb die Pferde an. Er fuhr zum Ramesseum, zu seinem Tempel der Millionen Jahre. Dort hielt er die morgendlichen Riten ab, sammelte sich in Nefertaris Kapelle, worauf er sich in seinen Palast begab, in dem er nach langen rituellen Waschungen ein Morgenmahl aus Milch, Feigen und frischem Brot einnahm.
Mit ausgeruhtem Antlitz, als ob er mehrere Stunden geschlafen hätte, öffnete der Herrscher die Tür zu der Schreibstube, in der Ameni mit verdrossener Miene Anweisungen für die Verwaltung verfaßte.
»Suche einen jungfräulichen Papyrus erlesenster Güte aus und schreibe an meinen Bruder, den König von Hatti.«
»Und … welchen Inhalts soll der Brief sein?«
»Tue ihm kund, daß ich mich dazu entschlossen habe, seine Tochter zu meiner Großen königlichen Gemahlin zu machen.«
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EINUNDZWANZIG
RITESCHUP LEERTE DIE dritte Schale Oasenwein.
A
U us eingedampftem Traubensaft gewonnen, besonders kräftig, mit Duftstoffen und Harzen gewürzt, wurde dieser Wein auch von den Balsamierern benutzt, um die Eingeweide der Verstorbenen möglichst lange vor dem Zerfall zu bewahren, und die Heilkundigen verwendeten ihn wegen seiner keimtötenden Wirkung.
»Du trinkst zuviel«, bemerkte Raia.
»Man muß die Freuden Ägyptens zu genießen wissen! Dieser Wein ist ein wahres Wunder … Ist dir auch niemand gefolgt?«
»Sei ohne Sorge.«
Der syrische Kaufmann hatte die Mitternacht abgewartet, ehe er in die Villa der Phönizierin geschlichen war.
»Weshalb stattest du mir diesen unerwarteten Besuch ab?«
»Ich habe wichtige Neuigkeiten, Hoher Herr, sehr wichtige.«
»Ist der Krieg endlich ausgebrochen?«
»Nein, Hoher Herr, nein … Es wird keine neuen Feindseligkeiten zwischen Ägypten und Hatti geben.«
Uriteschup schleuderte die Weinschale weit von sich und packte den Syrer am Kragen seines Gewandes.
»Was erzählst du da? Meine Falle war vollkommen!«
»Iset die Schöne ist tot, und Ramses richtet sich auf eine Vermählung mit König Hattuschilis Tochter ein.«
Uriteschup ließ seinen Bundesgenossen los.
»Eine Hethiterin als Königin von Ägypten … Das ist undenkbar! Du mußt dich irren, Raia!«
»Nein, Hoher Herr, die Kunde ist bereits amtlich. Du hast Acha vergebens getötet.«
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»Dieses Spions mußten wir uns ohnehin entledigen. Jetzt haben wir freie Hand. Kein anderer Berater des Pharaos ist so klug wie Acha.«
»Wir haben verloren, Hoher Herr. Es ist Frieden …
unerschütterlicher Frieden!«
»Dummkopf! Kennst du die Frau, die Große königliche Gemahlin werden soll? Eine Hethiterin, Raia, eine echte Hethiterin: stolz, listenreich, unbezähmbar!«
»Sie ist die Tochter deines Feindes Hattuschili.«
»Aber vor allem eine Hethiterin! Und sie wird sich nie einem Ägypter unterwerfen, auch nicht dem Pharao! Darin liegt unsere Aussicht auf Erfolg.«
Raia seufzte. Der Oasenwein war dem ehemaligen Oberbefehlshaber der hethitischen Armee zu Kopf gestiegen.
Jedweder Hoffnung beraubt, ersann er sich eine Welt nach
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