Im Schatten der Akazie
Lotos. Ritualpriester, Schreiber, Vorsteher der höchsten Ämter und der Provinzen, Bewahrer der Geheimnisse und Hofdamen von hohem Rang bewunderten die märchenhafte Welt in zartem Grün, dunklem Rot, hellem Blau, Goldgelb und gebrochenem Weiß, die sich an den Wänden entfaltete, eine Welt voller Wiedehopfe, Kolibris, Schwalben, Meisen, Nachtigallen und Eisvögel. Hob sich der Blick, dann 158
bezauberte ihn ein schöner Fries aus Mohnblüten, Lotos, Margeriten und Kornblumen.
Es wurde still im Saal, als Ramses die Stufen zu seinem vergoldeten Thron erklomm, deren oberste ein Löwe zierte, der sein Maul über einem der Finsternis entstiegenen Feind schloß, über einem Dämon aus dem Reich des Chaos, das ohne Unterlaß die Harmonie der Maat zu zerstören suchte.
Mit der Doppelkrone, der weißen Oberägyptens in der roten Unterägyptens, trug Ramses die zwei »Zauberreichen« auf dem Haupt. An seiner Stirn dräute eine goldene Uräusschlange, die weibliche Kobra, die Feuer spie, um die Finsternis zu vertreiben. In der rechten Hand hielt der König das Zepter
»Magie« ; es glich dem Stab eines Hirten, und wie dieser all seine Tiere zusammenhielt und die verirrten zurückholte, so mußte auch der Pharao die verstreuten Kräfte einen. Aus seinem goldenen Schurz schienen Lichtstrahlen zu sprühen.
Für kurze Zeit verweilte der Blick des Königs auf dem Bildnis einer jungen, vor einem Rosenstock in Andacht versunkenen Frau. Erinnerte es nicht an Nefertari, deren Schönheit über ihren Tod hinaus der Herrschaft Ramses’ des Großen Glanz verlieh?
Doch dem Pharao stand es nicht zu, in wehmütigen Erinnerungen zu schwelgen, das Staatsschiff fuhr weiter und mußte gesteuert werden.
»Ich habe euch hier versammelt, auf daß das ganze Land durch euch von wesentlichen Dingen Kenntnis erlange.
Törichte Gerüchte machen da und dort die Runde, und mir liegt daran, der Wahrheit, die ihr weitertragen möget, wieder zu ihrem Recht zu verhelfen.«
Ameni stand mit anderen Schreibern in der letzten Reihe, als bekleide er nur ein untergeordnetes Amt. Auf diese Weise verschaffte er sich leichter Klarheit darüber, wie die Worte des Pharaos aufgenommen wurden. Serramanna hatte sich 159
hingegen dafür entschieden, die erste Reihe im Auge zu behalten. Beim geringsten Anzeichen für eine Feindseligkeit würde er eingreifen. Setaou nahm den Platz ein, der ihm seinem Rang nach gebührte, zur Linken des Vizekönigs von Nubien, inmitten der wichtigsten Würdenträger, von denen viele häufig einen Blick auf Lotos warfen, deren rosafarbenes Kleid mit Trägern ihre Brüste unverhüllt ließ.
Der Statthalter eines Gaues in Unterägypten trat vor und verneigte sich vor dem Herrscher.
»Darf ich das Wort ergreifen, Majestät?«
»Wir hören dir zu.«
»Stimmt es, daß der Oberste Gesandte, Acha, in Wirklichkeit in Hattuscha gefangen ist und daß der Friedensvertrag mit den Hethitern gebrochen wurde?«
»Mein Freund Acha fiel auf dem Rückweg nach Pi-Ramses einem Mordanschlag zum Opfer. Er ruht für immer in ägyptischer Erde. Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen, die Schuldigen werden entlarvt und bestraft werden. Der Frieden mit Hatti ist weitgehend Achas Werk, und wir werden es fortsetzen. Das Abkommen mit den Hethitern, einander nicht mehr zu überfallen, ist nach wie vor in Kraft und wird dies für lange Zeit bleiben.«
»Majestät, können wir erfahren, wer die nächste Große königliche Gemahlin wird?«
»Die Tochter Hattuschilis, des Königs von Hatti.«
Gemurmel breitete sich aus. Ein Befehlshaber der Armee bat um das Wort.
»Majestät, ist das nicht ein zu großes Zugeständnis an den Feind von gestern?«
»Solange Iset die Schöne herrschte, wies ich Hattuschilis Ansinnen zurück. Heute ist diese Eheschließung der einzige Weg, den Frieden, den das Volk Ägyptens wünscht, zu 160
festigen.«
»Werden wir die Anwesenheit hethitischer Streitkräfte auf unserem Boden dulden müssen?«
»Nein, Heerführer, nur die Anwesenheit einer Frau.«
»Vergib mir meine Dreistigkeit, Majestät, aber eine Hethiterin auf dem Thron der Beiden Länder … Ist das nicht eine unzumutbare Herausforderung in den Augen derer, die gegen die Krieger aus Hatti gekämpft haben? Dank deines Sohnes Merenptah sind unsere Truppen gut ausgerüstet und zum Kampf bereit. Was hätten wir denn von einer Auseinandersetzung mit den Hethitern zu befürchten? Anstatt ihren unerträglichen Forderungen nachzugeben, wäre es besser, ihnen die
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