Im Schatten der Akazie
unter das niedere Volk, Vornehme und Handlanger drängten sich dicht nebeneinander, und allen ging vor Freude das Herz auf.
»Merkwürdig«, stellte Uriteschup fest, der gemeinsam mit seiner Gemahlin in der ersten Reihe der Schaulustigen stand.
»Dieser Pharao hat das Unmögliche geschafft.«
»Er bezwang sogar den Gott Seth und ließ es regnen«, sagte die Herrin Tanit ebenfalls sehr beeindruckt. »Seine Fähigkeiten sind grenzenlos.«
»Ramses ist das Wasser und die Luft für sein Volk«, fügte ein Steinhauer hinzu. »Er gleicht dem Brot, das wir essen, und den Stoffen, mit denen wir uns bekleiden. Er ist Vater und Mutter des ganzen Landes!«
»Sein Blick erforscht die Gedanken und schaut bis in die Seelen hinein«, fuhr eine Priesterin der Göttin Hathor überschwenglich fort.
Uriteschup war geschlagen. Wie sollte er gegen einen Pharao ankämpfen, dem übernatürliche Kräfte innewohnten? Ramses gebot den Elementen, änderte das Wetter sogar in den Ostländern und herrschte über ein ganzes Heer guter Geister, die imstande waren, jedwede Armee zu besiegen. Und wie der Hethiter es vermutete, hatte nichts den reibungslosen Ablauf dieser Reise der Tochter Hattuschilis vereiteln können. Jeder Angriff auf den Geleitzug wäre zum Scheitern verurteilt gewesen.
Der ehemalige Oberbefehlshaber der Krieger aus dem 237
Norden faßte sich wieder. Nein, er würde nicht auch noch der Magie dieses Ramses erliegen! Sein Ziel, sein einziges Ziel, bestand darin, den Mann zu stürzen, der ihn um den Thron von Hatti gebracht hatte und die so stolzen Hethiter auf eine Stufe mit Vasallen stellte. Über welche Kräfte er auch verfügen mochte, dieser Pharao war dennoch kein Gott, sondern ein Mensch mit Schwächen und Unzulänglichkeiten. Trunken von seinen Siegen und seiner Beliebtheit, würde Ramses letzten Endes seinen Scharfblick verlieren. Die Zeit arbeitete gegen ihn.
Und er vermählte sich mit einer hethitischen Prinzessin! In ihren Adern floß das Blut eines unbezähmbaren und nach Rache dürstenden Volkes. Ramses erlag vielleicht einem großen Irrtum, wenn er glaubte, mit dieser Verbindung den Frieden zu besiegeln.
»Sie kommt!« rief die Herrin Tanit, deren Jubelschrei von Tausenden begeisterter Kehlen aufgenommen wurde.
In ihrer Sänfte legte die Prinzessin letzte Hand an ihre Schminke. Sie zog schwarze Striche um die Augen, wobei sie die aus Bleiglanz, Silber und Pflanzenkohle zubereitete Farbe mit einem Stift auftrug. Zuvor hatte sie die Lider mit grüner Schminke aus Malachitstaub getönt. Dann betrachtete sie ihr Werk in einem Spiegel und war damit zufrieden. Ihre Hand hatte nicht gezittert.
Merenptah half der jungen Hethiterin aus ihrer Sänfte.
Ihre Schönheit versetzte die Menge in sprachloses Erstaunen, und in dem langen, grünen Kleid, das den Perlmuttschimmer ihrer Haut besonders gut zur Geltung brachte, sah sie wahrlich wie eine Königin aus.
Plötzlich wandten sich alle Gesichter der Hauptstraße der Stadt zu, auf der das unverwechselbare Geräusch galoppierender Pferde und rollender Räder zu vernehmen war.
Ramses der Große kam seiner künftigen Gemahlin entgegen.
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Die beiden jungen und feurigen Pferde waren Nachkommen jenes Gespanns, das gemeinsam mit dem Löwen Schlächter dem Pharao bei Kadesch als einzige Verbündete zur Seite gestanden hatte, indes seine Soldaten ihn angesichts des hethitischen Ansturms im Stich ließen. Rote Federbüsche mit blauen Spitzen zierten die Köpfe der zwei prächtigen Streitrösser, und auf den Rücken der Tiere lagen wollene Decken, ebenfalls in Blau und Rot. Der Herrscher hatte die Zügel an seinem Gürtel befestigt und hielt das königliche Zepter in der rechten Hand.
Der vergoldete Wagen kam in rascher Fahrt näher. Ramses lenkte die Pferde mit seiner Stimme, ohne daß er sie erheben mußte. Er trug die blaue Krone, die an den göttlichen Ursprung des Pharaonentums erinnerte, und erweckte den Eindruck, als sei er vollständig in Gold gehüllt.
Ja, er glich der Sonne, die ihre Bahn zog und seine Untertanen mit ihren Strahlen beschien. Als der Wagen wenige Schritte vor der hethitischen Prinzessin hielt, rissen die grauen Wolken auf, und das gleißende Gestirn beherrschte aufs neue unumschränkt den nunmehr wieder blauen Himmel. Hatte Ramses, der Sohn des Lichts, nicht auch dieses Wunder vollbracht?
Die junge Frau hielt den Blick gesenkt. Der König stellte fest, daß sie sich für Einfachheit entschieden hatte. Eine unaufdringliche Halskette aus
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