Im Schatten der Akazie
verschlossen und mit Lotosblüten sowie einer Darstellung des Schutzgeistes Bes verziert, jenes Halbgottes mit dem gedrungenen Leib und den kurzen Beinen, der zum Zeichen für die Allmacht des Wortes die Zunge herausstreckte.
Als Ramses die belebende Luft über dem Fluß eine Weile 242
ausgekostet hatte und in die mittschiffs gelegene Kajüte zurückkehrte, war Maat-Hor aufgewacht. Nach Jasmin duftend, in einem sehr kurzen Schurz und mit nackten Brüsten war sie die Verführung selbst.
»Der Pharao ist der Herr des Glanzes«, sagte sie mit sanfter Stimme, »eine Sternschnuppe mit ihrem Feuerschweif; der unbezähmbare Stier mit spitzen Hörnern; das unnahbare Krokodil inmitten der Wasser; der Falke, der sich seiner Beute bemächtigt; der göttliche Greif, den niemand zu bezwingen vermag; der Sturm, der jäh losbricht; die Flamme, die dichte Finsternis durchdringt.«
»Du kennst unsere überlieferten Schriften gut, Maat-Hor.«
»Ich beschäftige mich seit langem mit ihnen. Alles, was über den Pharao geschrieben steht, zieht mich in seinen Bann. Ist er nicht der mächtigste Mann auf der Welt?«
»Dann solltest du auch wissen, daß der Pharao Schmeicheleien verabscheut.«
»Ich bin aufrichtig. Für mich gibt es kein größeres Glück als diesen Augenblick. Ich träumte schon von dir, Ramses, als mein Vater noch gegen dich kämpfte. Schon damals war ich überzeugt, daß allein die Sonne Ägyptens mich zu wahrem Leben erwecken würde. Heute weiß ich, daß ich recht hatte.«
Die junge Frau schmiegte sich an Ramses’ rechtes Bein und drückte es zärtlich.
»Ist es mir versagt, den Herrn der Beiden Länder zu lieben?«
Die Liebe einer Frau … Daran dachte Ramses schon seit langem nicht mehr. Nefertari war die Liebe gewesen, Iset die Schöne die Leidenschaft, doch diese glücklichen Zeiten gehörten der Vergangenheit an. Und nun weckte diese junge Hethiterin in ihm eine Begierde, die er für erloschen gehalten hatte. Sehr gekonnt parfümiert, willfährig, aber nicht schmachtend, verstand sie es, mit Anmut zu locken, ohne ihre Erhabenheit einzubüßen. Ramses war von ihrer wilden 243
Schönheit und vom Liebreiz ihrer schwarzen, mandelförmigen Augen tief beeindruckt.
»Du bist sehr jung, Maat-Hor.«
»Ich bin eine Frau, Majestät, und obendrein deine Gemahlin.
Ist es nicht meine Pflicht, dich zu erobern?«
»Komme mit mir in den Bug und entdecke Ägypten, das Land, dem ich zuvörderst vermählt bin.«
Der König legte einen Schal um Maat-Hors Schultern und führte sie in das Vorschiff. Er nannte ihr die Namen der Provinzen, der Städte und Dörfer, beschrieb deren Reichtümer, erklärte in allen Einzelheiten die Bewässerungsanlagen und erzählte von Bräuchen und Festen.
Und dann kam Theben.
Auf dem östlichen Ufer betrachtete Maat-Hor mit staunenden Augen den riesigen Tempel von Karnak und das Heiligtum für den Ka der Götter, das schimmernde Luxor. Auf dem westlichen Ufer, das ein als Wohnsitz der Göttin des Schweigens geltender Höhenrücken überragte, verschlug es der Hethiterin vor Bewunderung die Sprache, als sie Ramses’
Tempel für die Ewigkeit und die gewaltige Kolossalstatue sah, die den einer göttlichen Macht gleichgestellten Ka des Königs in ihrem Stein barg.
Maat-Hor erkannte, daß einer der Namen des Pharaos, »der der Biene gleicht«, völlig zu Recht bestand, denn Ägypten mutete in der Tat wie ein Bienenstock an, in dem Müßiggang nicht angebracht war. Jeder hatte eine Aufgabe zu erfüllen und dabei eine strenge Rangordnung der Pflichten einzuhalten.
Sogar im Tempel herrschte unermüdliches Treiben. Neben dem Allerheiligsten gingen die Handwerker ihrer Beschäftigung nach, während in dessen Innerem die Eingeweihten die Riten vollzogen. Und des Nachts nahmen die Beobachter des Himmels ihre sternenkundlichen Berechnungen vor.
Der Pharao gewährte der neuen Großen Königsgemahlin 244
keine Zeit der Eingewöhnung. Im Palast des Ramesseums untergebracht, mußte sie sich den Erfordernissen ihres Amtes unterwerfen und so schnell wie möglich die Obliegenheiten einer Königin erlernen. Sie wußte, daß es unerläßlich war, zu gehorchen, falls sie Ramses für sich gewinnen wollte.
Der Wagen des Königs hielt vor dem Eingang in das von Ordnungskräften und der Armee bewachte Dorf Deir el Medineh. Hier wohnten die Handwerker und Künstler, die mit dem Ausschachten und Ausschmücken der Gräber im Tal der Könige und in dem der Königinnen betraut waren. Der Troß im Gefolge des
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