Im Schatten der Akazie
Silber, schmale Armreife aus dem nämlichen Metall, ein schlichtes Kleid … Der Verzicht auf jedwede Künstelei brachte ihre erhabene Gestalt um so mehr zur Geltung.
Kha trat zu Ramses und reichte ihm ein Gefäß aus blauer Fayence.
Der Pharao bestrich die Stirn der Prinzessin mit edlem Öl.
»Siehe, ich salbe dich zur Großen königlichen Gemahlin des Herrn der Beiden Länder«, erklärte er. »Möge alles Übel sich 239
von dir fernhalten. Mit diesem Tag trittst du nach den Gesetzen der Maat in dein Amt ein, und du erhältst den Namen Maat-Hor-neferu-Re, ‹die, die Horus schaut und die Vollkommenheit des göttlichen Lichts›. Sieh mich an, Maat-Hor, meine Gemahlin!«
Ramses streckte der jungen Frau die Arme entgegen, und sehr langsam schob sie ihre Hände in die des Pharaos. Sie, die noch nie vor etwas Angst gehabt hatte, fühlte sich von Furcht und Schrecken erfüllt. Wie sehr hatte sie diesen Augenblick herbeigesehnt, in dem sie ihre mannigfachen Reize entfalten wollte! Und nun bangte ihr davor, gleich einem verschüchterten kleinen Mädchen die Besinnung zu verlieren.
Von Ramses ging ein so starker Magnetismus aus, daß es ihr so vorkam, als berühre sie einen Gott und taumele in eine andere Welt, in der ihr die Bezugspunkte fehlten. Ihn betören … Jetzt erst konnte die junge Frau ermessen, wie eitel ihre Absichten gewesen waren, aber für einen Rückzug war es nun zu spät, obgleich sie gern geflohen wäre, weit fort, sehr weit von Ramses.
Ihre Hände in denen des Königs gefangen, wagte sie schließlich, zu ihm aufzuschauen.
Im Alter von sechsundfünfzig Jahren war Ramses noch ein sehr gut aussehender Mann, eine unvergleichliche Erscheinung.
Die breite und hohe Stirn, die auffallend geschwungenen, dichten Augenbrauen und der durchdringende Blick, die hervortretenden Wangenknochen, eine lange, schmale und leicht gebogene Nase sowie sanft gerundete Ohren und sein stattlicher Brustkorb verkörperten den Inbegriff der Verquickung von Kraft und Erhabenheit.
Mit der Leidenschaft der Frauen ihres Geblüts verliebte sich Maat-Hor, die zur Ägypterin erklärte Hethiterin, auf der Stelle in ihn.
Ramses hieß sie auf seinen Wagen steigen.
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»In diesem vierunddreißigsten Jahr meiner Herrschaft rufe ich den von nun an bis in alle Ewigkeit währenden Frieden mit dem Königreich Hatti aus«, ertönte die klangvolle Stimme des Pharaos, die bis zum Himmel empordrang. »Stelen, die von dieser Vermählung künden, werden in Karnak, Pi-Ramses, Elephantine, Abu Simbel und in allen Heiligtümern Nubiens errichtet. In allen Städten und in allen Dörfern werden Feste gefeiert, und man wird Wein aus dem Palast trinken. Von diesem Tag an sollen die Grenzen zwischen Ägypten und Hatti offen sein, sollen Menschen und Güter frei verkehren können in einem riesigen Gebiet, in dem es keinen Krieg und keinen Haß mehr geben wird.«
Ramses’ Erklärung löste unbeschreiblichen Jubel aus.
Gegen seinen Willen wurde selbst Uriteschup von Rührung ergriffen und stimmte in das Freudengeschrei ein.
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VIERUNDDREISSIG
AS RECHTECKIGE SEGEL aus Leinen blähte sich im N
D ordwind, und das königliche Schiff war in rascher Fahrt flußaufwärts unterwegs, in Richtung Theben. Im Bug stand ein Mann, der mit einer langen Stange immer wieder die Tiefe des Nils auslotete, doch der Schiffsführer kannte die Strömung und die Lage der Sandbänke so genau, daß nichts die Reise von Ramses und Maat-Hor gefährden konnte. Der Pharao hatte selbst das Segel gehißt, während seine junge Gemahlin in der mit Blumen geschmückten Kajüte der Ruhe pflegte und der Koch eine Ente rupfte, die er zum Abendessen aufzutragen gedachte. Drei Männer bedienten das Steuerruder, auf das zwei magische Augen aufgemalt waren, die den richtigen Weg wiesen. Ein Matrose schöpfte Wasser aus dem Fluß, und ein Schiffsjunge kletterte, behende wie ein Affe, zur Spitze des Mastes hinauf, um in die Ferne zu blicken und den Kapitän rechtzeitig zu warnen, falls eine Herde von Flußpferden in Sicht kam.
Mit Genuß hatte die Besatzung von dem vortrefflichen Wein aus Pi-Ramses getrunken, der aus dem Jahr zweiundzwanzig der Herrschaft Ramses’ des Großen stammte, aus jenem denkwürdigen Jahr, in dessen Verlauf der Friedensvertrag mit Hatti unterzeichnet worden war. Dieser Wein von unvergleichlicher Güte war in unten spitz zulaufenden, gelblichroten irdenen Krügen mit geraden Hälsen aufbewahrt worden. Sie waren mit Stöpseln aus Tonerde und Stroh
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