Im Schatten der Akazie
Wüste standhalten und auch in unwirtlicher Umgebung überleben.
»Der Himmel liegt in deinen Händen«, sagte der König zum Gott, »und die Erde unter deinen Füßen. Was du befiehlst, 233
geschieht. Du hast Hitze und Trockenheit hervorgerufen, gib uns den Regen des Winters zurück.«
Die Statue ließ keinerlei Veränderung erkennen, die Augen blieben kalt.
»Ich bin es, Ramses, der Sohn des Sethos, der zu dir spricht.
Kein Gott hat das Recht, die Ordnung der Welt zu stören und den Lauf der Jahreszeiten zu verändern, jede Gottheit muß sich der Heiligen Regel unterwerfen. Du ebenso wie die anderen.«
Die Augen des Standbildes begannen rot zu glühen, jähe Hitze erfüllte das Allerheiligste.
»Richte deine Macht nicht gegen den Pharao. In ihm sind Horus und Seth vereint. Du bist in mir, und ich setze deine Kraft ein, um gegen die Finsternis zu kämpfen und das Chaos zurückzudrängen. Gehorche mir, Seth, und lasse es in den Landstrichen des Nordens regnen!«
Blitze zuckten am Himmel, und Donner entlud sich über Pi-Ramses.
Es begann eine Nacht des Kampfes.
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DREIUNDDREISSIG
IE PRINZESSIN HERRSCHTE Merenptah an.
D
»Dieses Warten ist mir unerträglich. Bringe mich sofort nach Ägypten.«
»Ich habe den Auftrag, deine Sicherheit zu gewährleisten.
Solange diese durchaus nicht übliche Trockenheit anhält, wäre es unvorsichtig, sich auf den Weg zu machen.«
»Weshalb greift der Pharao nicht ein?«
Plötzlich fiel ein Tropfen auf die linke Schulter der Prinzessin, indes ein zweiter auf ihrer rechten Hand zerstob.
Gleichzeitig blickten sie und Merenptah zum Himmel hinauf.
Er hatte sich verdüstert. Ein Blitz durchbrach die schweren, dunklen Wolken, ihm folgte lautes Donnergrollen, und es setzte starker Regen ein. Sehr schnell sank auch die Temperatur.
Dem Gesetz der Jahreszeiten wieder gehorchend, vertrieb der kalte, regnerische Winter den ungewöhnlichen Sommer und die Trockenheit.
»Da hast du Ramses’ Antwort«, sagte Merenptah.
Die hethitische Prinzessin neigte den Kopf nach hinten, öffnete den Mund und trank begierig das Wasser des Himmels.
»Brechen wir auf, brechen wir gleich auf!«
Ameni ging vor der Tür des königlichen Schlafgemachs auf und ab, während Setaou mit verschränkten Armen dasaß und mißmutig vor sich hin stierte. Kha las einen magischen Papyrus, dessen Beschwörungsformeln er sich im stillen immer wieder vorsprach. Zum mindestens zehnten Mal putzte Serramanna mit einem in Leinöl getauchten Lappen sein kurzes Schwert.
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»Wann ist der Pharao aus dem Tempel des Seth gekommen?«
fragte der Sarde.
»Im Morgengrauen«, antwortete Ameni.
»Hat er mit jemandem gesprochen?«
»Nein, er hat kein einziges Wort gesagt«, erklärte Kha. »Er hat sich sogleich in seinem Gemach eingeschlossen. Ich habe nach der Obersten Heilkundigen des Königreiches geschickt, und er war bereit, sie zu empfangen.«
»Sie untersucht ihn schon seit mehr als einer Stunde!« murrte Setaou.
»Ob sichtbar oder nicht, die Verbrennungen, die Seth verursacht, sind furchtbar«, beteuerte der Oberpriester.
»Vertrauen wir Neferets Können.«
»Ich habe ihm mehrere Mittel für die Gesundheit des Herzens gegeben«, bemerkte Setaou.
Endlich ging die Tür auf.
Die vier Männer umringten Neferet.
»Ramses ist außer Gefahr«, versicherte die Oberste Heilkundige. »Ein Tag Ruhe, und der König wird wieder seine gewohnten Tätigkeiten aufnehmen. Zieht euch warm an: Das Wetter wird kalt und naß.«
Auch über Pi-Ramses begann es zu regnen.
Gleich Brüdern vereint, zogen Ägypter und Hethiter unter Merenptahs Befehl durch Kanaan, schlugen die vom Sinai überragte Küstenstraße ein und gelangten ins Delta. Bei jeder Rast in den kleinen befestigten Stützpunkten ging es hoch her, und im Verlauf der Reise tauschten mehrere Soldaten ihre Waffen gegen Trompeten, Flöten und Tamburine ein.
Die hethitische Prinzessin verschlang die grünenden Landschaften mit den Augen, bestaunte die Palmenhaine, die fruchtbaren Felder, die Bewässerungskanäle und die Papyrusdickichte. Die Welt, die sie entdeckte, glich in nichts 236
der rauhen Hochebene, auf der sie ihre Jugendjahre zugebracht hatte.
Als sich der Zug auf Sichtweite Pi-Ramses näherte, waren die Straßen schwarz von Menschen. Niemand hätte sagen können, wie sich die Neuigkeit verbreitet hatte, aber jeder wußte, daß die Tochter König Hattuschilis bald Einzug in die Hauptstadt Ramses’ des Großen halten werde. Die Reichen mischten sich
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