Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)

Steinriesen handelte, die zum Teil völlig mit ihrer Umgebung verschmolzen waren. Sie waren grau und kantig und von Büschen bewachsen. Kleingetier huschte über ihre Körper. Rondrick wusste, dass ein Riesenschlaf mehrere Jahre oder sogar Jahrhunderte dauern konnte, solange, bis Stein und Holz eine knorrige Einheit bildeten. Erwachte der Riese, riss er mächtige Löcher in den Boden.
    Im Hintergrund hockte jener Riese, der Rondrick wiederholt aufgefallen war. Auf seinem Rücken wuchsen kleine Bäume und vielfältiges Gebüsch. Das Ungetüm bewegte sich nicht von der Stelle. Der König von Dandoria fragte sich, wann und wie dieser Riese jemals schlief, vermutlich auf dem Bauch.
    »Fantastisch!«, sagte Jamus. »Ich frage mich, wie dieses Volk weitgehend unbeobachtet hier leben konnte?«
    Das frage ich mich auch!, dachte Rondrick.
    »Darf ich eine Frage stellen?« fragte Jamus. »Warum habt Ihr, mein König, versucht einen Riesen zu fangen?«
    »Noch einmal …«, Rondricks Finger schoss vor. »Solange wir hier sind, nennst du mich Rondrick, ist das klar, Barde? Ich kann auf das Hofgetue verzichten!« Der König hatte strenger gesprochen, als er wollte, da er sich nach dem, was Jamus gesagt hatte, schämte und seine Gefühle sich selbständig machten. Was hatte ihn geritten, einen Riesen fangen zu wollen? Abenteuerlust? Schon, dass das Volk ihn Riesentöter nannte, war ihm unangenehm. Er legte keinen Wert auf Heldentum.
    Der Barde nickte und grinste. »In Ordnung … Rondrick. Also warum?«
    »Ich glaubte, es sei meinem Vater nie gelungen. Also wollte ich es besser machen. Dabei verlor mein Magus sein Leben und den Rest kennt ihr. Tja - heute scheint mir, mein Vater wusste sehr genau Bescheid und mied die Riesen aus ersichtlichen Gründen.«
    »Mein König, Ihr …«, sagte Egg.
    Wieder schoss Rondricks Zeigefinger vor.
    »Rondrick …« Der Meister der Bibliothek räusperte sich. »Also Ihr … du bist noch jung. Du versuchst, Dinge zu tun, mit denen du dich austesten kannst. Das ist normal. Du solltest nicht hadern. Talus ist ein gutmütiger Riese. Genaugenommen bietet er uns das beste Beispiel dafür, wie man Konflikte von Grund auf beenden kann. Daraus sollten wir lernen.«
    Rondrick nickte stumm. Ja, der Riese handelte weise. Ron stellte sich Menschen vor, die ihre absolute Überlegenheit erkannten. Sie würden morden, brandschatzen und annektieren. Als wäre Überlegenheit der Schlüssel für Macht. Das war nicht so. Was hatte der Riese gesagt? Ein König sei derjenige, der seine eigenen Leidenschaften kenne und beherrsche. Machthunger war eine Leidenschaft, der Rondrick sich nicht stellen wollte.
    Seine Gesichtszüge entspannten sich wie das eines kleinen Kindes. Er lag in Talus‘ Unterarm, geborgen, warm und voller Vertrauen. Das Wissen darum erschütterte Rondrick zutiefst. Vertrauen! Er vertraute dieser Kreatur mehr als seinem Weib. Er fühlte sich - so schräg das klang - heimisch. Beschützt! Gesegnet wie ein kleines blondes Mädchen, das Sonnenblumenblüten legte.
    Sein Blick glitt nach oben, rechts und links. Auch Egg und Jamus machten versonnene Gesichter.
    Als die Sonne durch die Wolken brach und wärmende Strahlen durch das Tal wanderten, sich Vögel aus den Bäumen erhoben und in loser Formationen das Licht begrüßten, als einer der schlafenden Riesen hustete, was wie eine kleine Explosion klang und nahebei ein Riesenjunge lachte, vergaßen sie den Gestank der Schweine und spürten eine unsagbare Müdigkeit. Obwohl erst früher Abend war und die Sonne sich mit rotem Glühen verabschiedete, hatten die drei Dandorier viel zu viele Eindrücke aufgenommen, die es nun zu verarbeiten galt.
    Talus grunzte. Seine Barthaare, dick wie kleine Finger, streichelten über Ronricks Haupt. Dessen Hunger war verflogen, Durst empfand er nicht. Nur Müdigkeit. Er schloss seine Augen.
    Wispernde Fragen bestürmten ihn.
    Wer war Symbylle?
    Warum behandelte man ihn, Rondrick, wie einen lange erwarteten Gast?
    Warum war er der Ron?
    Er war es nicht gewohnt, auf Antworten zu warten, doch so war es offenbar im Tal der Steinriesen: Das Leben bewegte sich mit trägen Schritten. Es würde Antworten geben, doch die ließen auf sich warten. Erneut schloss er seine Augen und war kurz davor, sich angenehmen Träumen zu überlassen, als sich die Stimmung im Tal veränderte.
    Talus knurrte so laut, dass dessen Brust wie bei einem Erdbeben zuckte und Rondrick den Kopf einzog. Einige der Schmuckstücke schwangen hin und her und die