Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
zum Bauchnabel und musste den Kopf in den Nacken legen, um ihn anzuschauen oder zwei, drei Schritte zurück gehen. Sie musste nicht in den spiegelnden See schauen, um zu wissen, wie sie aussah. Rund, klein, stämmig, mit filzigen Haaren und einem Gesicht, welches noch nicht mal als Karikatur für einen Menschen herhielt.
Sie war eine Barb.
Sie entstammte einem Volk, das seit Gedenken auf einer Insel im Mittmeer lebte, fast autark, einsam und den alten Traditionen verhaftet. Wenn sie ihre Momma beobachtete, ahnte sie, was aus ihr werden würde. Ein dickes, pausbäckiges Ding mit einer knubbeligen roten Nase und großen runden Augen. Und wenn sie genau hinschaute, zeigten sich bei ihrer Momma erste Anzeigen eines Oberlippenbartes.
Darius hingegen war ein schöner Mensch. Schlank aber muskulös, ein ebenmäßiges Gesicht und schwarze Haare. Er würde zu seiner Frau gehen, von der er annahm, sie lebe noch in Dandoria. Er würde vielleicht Antworten auf seine Fragen erhalten und – bei den Göttern – möglicherweise bei ihr bleiben. Sich mit ihr vertragen. Sie erneut lieben.
Bei dieser Phantasie traten Bluma Tränen in die Augen. Dann war Darius ihr ein für alle mal genommen. Er würde dort sein, wo er hin gehörte. In den Armen einer wunderschönen Menschenfrau.
Darius musterte sie.
»Bist du traurig, kleine Freundin?«, fragte er mit ruhiger Stimme und Bluma kam es vor, als singe er, warm und melodisch.
»Nein«, log sie. »Ich freue mich für dich. Nun wirst du Antworten bekommen. Das Rätsel deines Lebens wird sich lüften.«
»Und du glaubst, ich bleibe bei jenem Weib, das an Henkers Stelle den Galgen bediente?«
»Ach …«, seufzte Bluma. »Niemand weiß, ob du dies nicht nur geträumt hast. Wie wir wissen, zeigt dein Hals keine Male einer Strangulierung, außerdem dürftest du in Mythenland gar nicht existieren, wärest du ein echter Dämon gewesen.«
»Und was war ich, deiner Meinung nach?«
Sie zuckte die Achseln. »Ein riesiger, hässlicher schwarzer Koloss, so viel ist klar.«
»Na also«, nickte er und schmunzelte. »Das lässt sich nicht wegreden, Bluma. Ich war ein Dämon, der mit dir in Unterwelt war. Ich nahm Lord Murgon für eine Weile seine Kraft und ich kämpfte auf dem schwarzen Schiff gegen den Golem. Das alles war definitiv kein Traum.«
»Das macht ja alles so geheimnisvoll«, gab sie zurück, obwohl ihre Gedanken woanders weilten. Sie weilten dort, wo sie nicht sein durften und das erste Mal stellte sie sich vor, wie es sei, diesen schönen dunklen Mann zu lieben. Sie schämte sich sofort und blinzelte die Tränen weg. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich glaube, der Hunger macht mich nervös.«
Darius zog ein Gesicht. »Hast Recht. Es wird Zeit, etwas in den Magen zu kriegen.«
Connor trat hinzu. Er kaute auf einem Fladen. »Ist zwar trockenes Zeug, aber es schmeckt.«
Darius fuhr herum. »Woher hast du das?«
Connor wies auf Agaldir. »Unser Meistermagus hat dafür gesorgt. Fragt mich nicht, wie er das gemacht hat. Er sagte, er wolle jagen gehen und kehrte ein paar Minuten später mit einem Korb voller Fladen zurück. Außerdem legte er einen Zauber über den Teich und garantierte uns, das Wasser sei gesund und trinkbar.«
Lysa stand neben Connor und Bluma musterte die Beiden neidisch. Sie liebten sich, der Barbar und die Amazone. Nach anfänglichen Querelen hatten sie sich ihre Liebe gestanden und seitdem umgab das Paar eine Aura, die Bluma wie ein Dolch ins Herz traf. Sie waren ein schönes Paar. Sie würden wunderschöne Kinder haben. Sie hatten eine großartige Zukunft vor sich. Eine selbstbewusste Frau und ein tapferer Mann mit einer großen Seele.
»Na endlich!«, stieß Bluma heiser hervor. »Ich dachte schon, wir müssten verhungern!« Sie stiefelte davon und merkte nicht, dass ihr drei verwundert drein blickende Augenpaare folgten.
Biggert hockte auf einer knorrigen Baumwurzel und kaute. Seitdem bekannt geworden war, dass der Lehrer der Barbs das Drachenei verloren hatte – nein, nicht verloren! – er hatte es sich stehlen lassen… Seitdem das bekannt geworden war, ruhte der Barb in sich und sagte kaum etwas. Auch das er Bluma und Darius das Leben gerettet hatte, zählte für Biggert nicht. Er war untröstlich. Bluma gesellte sich zu ihm und hockte sich hin.
»Sei nicht so traurig, Biggert«, sagte sie.
Ihr ehemaliger Lehrer murmelte: »Du bist ein hartes Weib geworden. Du hast viel erlebt und bist nicht mehr jene kleine Barb, die ich einst
Weitere Kostenlose Bücher