Im Schatten der Gerechtigkeit
sagte er. »Aber Prudence war dabei nie zugegen, außer vorher und danach. Die Operationen selbst habe ich mit Hilfe von Schwestern vorgenommen, die nicht genügend Kenntnisse hatten, um zu wissen, was ich tat. Ich sagte ihnen, es handle sich um Tumore etwas anderes haben sie nie erfahren. Prudence’ Briefe mit ihrer Meinung sind also nicht der geringste Beweis.«
»Aber sie wußte davon!« sagte Rathbone scharf. »Und übte damit Druck auf Sie aus: nicht um Sie in eine Ehe zu zwingen sie hätte Sie vermutlich noch nicht einmal geheiratet, wenn Sie sie auf Knien gebeten hätten! Sie sollten ihr mit Ihrer beruflichen Autorität zu einer Aufnahme an der medizinischen Fakultät verhelfen.«
»Das ist doch absurd.« Sir Herbert verwarf den bloßen Gedanken daran mit einer Handbewegung. »Noch nie hat eine Frau Medizin studiert. Sie war eine gute Schwester, aber sie hätte niemals mehr werden können. Frauen sind dafür nicht geeignet.« Er lächelte bei dem Gedanken; der Hohn stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. »Es bedarf der intellektuellen Kraft des Mannes und seiner physischen Ausdauer – von emotionaler Ausgewogenheit ganz zu schweigen.«
»Und einer moralischen Integrität – die haben Sie vergessen«, sagte Rathbone mit beißendem Sarkasmus. »Haben Sie sie deswegen ermordet – weil sie Ihnen drohte, diese illegalen Operationen anzuzeigen, falls Sie sie nicht wenigstens empfehlen würden?«
»Ja«, sagte Sir Herbert mit absoluter Offenheit und begegnete dabei Rathbones Blick. »Das hätte sie getan! Sie hätte mich ruiniert. Ich konnte das nicht zulassen.«
Rathbone starrte ihn an. Lächelte der Mann ihn doch tatsächlich an! »Aber Sie können nichts dagegen tun«, sagte Sir Herbert seelenruhig. »Sie können weder etwas sagen, noch können Sie das Mandat niederlegen. Sie würden damit ein Vorurteil gegen mich schaffen. Man würde Sie aus der Anwaltskammer ausschließen und den Prozeß vermutlich wegen eines Verfahrensfehlers für ungültig erklären. Sie hätten nichts erreicht.«
Er hatte recht, und Rathbone wußte es – und ein Blick in Sir Herberts glattes, selbstzufriedenes Gesicht sagte ihm, daß auch er das wußte.
»Sie sind ein brillanter Strafverteidiger.« Sir Herbert lächelte ganz offen. Er steckte die Hände in die Taschen. »Sie müssen mich verteidigen. Sie brauchen nichts weiter zu tun, als Ihr Schlußplädoyer zu halten – und das werden Sie in gewohnter Brillanz tun, weil Ihnen gar nichts anderes übrig bleibt. Ich kenne das Gesetz, Mr. Rathbone.«
»Schon möglich«, sagte Rathbone mit verhaltenem Zorn.
»Aber Sie kennen mich nicht, Sir Herbert.« Der Haß, mit dem er ihn ansah, war so stark, daß er ihn im Magen spürte; er bekam kaum noch Luft. »Aber der Prozeß ist noch nicht vorbei.« Und ohne darauf zu warten, ob Sir Herbert noch irgendwelche Anweisungen gab, wandte er sich auf dem Absatz um und ging hinaus.
12
In der ersten Morgensonne standen sie in seiner Kanzlei, Rathbone kreidebleich, Hester verwirrt und verzweifelt, Monk fassungslos und voll Zorn.
»Himmel, Herrgott, stehen Sie nicht einfach so nun!« explodierte Monk. »Was werden Sie tun? Er ist schuldig!«
»Ich weiß, daß er schuldig ist«, sagte Rathbone, der sich kaum beherrschen konnte. »Aber er hat auch recht: Mir sind die Hände gebunden. Die Briefe sind kein Beweis, und außerdem, haben wir sie bereits als Beweismittel verlesen. Wir können jetzt nicht hergehen und dem Gericht erzählen, sie bedeuten in Wirklichkeit etwas anderes. Wir haben nur Hesters Interpretation. Es ist die richtige, aber ich kann nichts wiederholen, was mir Sir Herbert anvertraut hat. Selbst wenn es mir egal wäre, aus der Anwaltskammer ausgeschlossen zu werden, was es nicht ist! Man würde den Prozeß so oder so wegen eines Verfahrensfehlers abbrechen!«
»Aber es muß doch eine Möglichkeit geben!« protestierte Hester verzweifelt und ballte die Fäuste. Ihr ganzer Körper war verkrampft.
»Wenn Ihnen etwas einfällt«, sagte Rathbone mit einem bitteren Lächeln, »ich werde es tun, so wahr mir Gott helfe! Von der ungeheuren Ungerechtigkeit einmal ganz abgesehen ich kann mich nicht erinnern, je einen Menschen so gehaßt zu haben!« Er schloß die Augen, die Muskeln in seinen Backen traten hervor. »Steht da mit seinem verdammten Lächeln im Gesicht… Er weiß, ich muß ihn verteidigen, und lacht mich auch noch aus!«
Hester starrte ihn hilflos an.
»Tut mir leid«, entschuldigte er sich automatisch für seine
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