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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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Pferden nicht mehr Glück als Estrada, aber nach einer Weile merkte ich: Wenn man sie sich selbst überließ, stapften sie zufrieden in die richtige Richtung. Ich musste nur etwa alle zehn Minuten eingreifen, wenn sie langsamer wurden und stehen bleiben wollten, weil sie glaubten, ich hätte sie vergessen.
    Auf dem Weg durch den Pass nach Goya Pinenta würde es um diese Jahreszeit recht viel Verkehr geben, aber Goya Mica im Norden hatte als Fischereihafen an Bedeutung verloren, und deshalb verfiel dieser Teil der Straße immer mehr. Dennoch kam man auf ihr einigermaßen sicher voran, wenn man aufpasste. Steile Abschnitte waren selten, und eine Felskante trennte uns von der Leere dahinter.
    Der Tag wurde angenehm. Der trübe Sonnenschein war überraschend warm, aber lebhafter Wind sorgte dafür, dass die Temperatur selbst gegen Mittag nicht zu weit anstieg. Da ich nichts anderes zu tun hatte, als auf der Sitzbank eine bequeme Position zu finden, vertrieb ich mir die Zeit damit, Gesprächsfetzen zu lauschen. Die allgemeine Stimmung schien recht gut zu sein, denn die Männer erzählten sich Witze, und einige von ihnen sangen. Mounteban schien von dieser Fröhlichkeit nicht viel zu halten, denn wenn es zu laut wurde, rief er: » O ja, seid ruhig lustig, immerhin geht es nicht um unser Leben!« oder: »Es ist ja nicht so, dass wir auf der Flucht wären!«
    Er hatte nicht ganz unrecht. Ohne seine Rufe wären wir noch langsamer vorangekommen. Trotzdem ärgerte ich mich darüber und hielt ihn für einen Spaßverderber. Ich war froh, als Estrada schließlich erwachte, sich benommen umsah, halb aufstand und rief: »Alle anhalten! Wir rasten eine halbe Stunde.«
    Das Anhalten war noch chaotischer als der Aufbruch. Pferde stießen gegen die Wagen vor ihnen, und manche Karren kamen dem Rand der Straße und dem Abgrund dahinter gefährlich nahe. Es dauerte fünf Minuten, bis Ruhe einkehrte. Estrada stieg ab, kümmerte sich um die Verteilung von Lebensmitteln, sah nach den Verwundeten, vergewisserte sich, dass die Ladungen sicher verstaut waren, und spielte ganz allgemein die Glucke für ihre Truppe. Sie ging dabei schnell und geschickt zu Werke, ohne dass es zu eilig wirkte und ohne jemanden zu vernachlässigen – ihrer Rolle als Anführerin konnte sie kaum besser gerecht werden.
    Ich musste mich daran erinnern, dass sie sich anschickte, all diese Leute in den Tod zu führen.
    Da er zu schüchtern war, um zu fragen, verbrachte ich eine Minute damit herauszufinden, wo Salzleck Stroh und genug Wasser finden konnte, um seinen enormen Durst zu löschen. Dann machte ich mich an meine eigene Mahlzeit, bei der ich auf die Vorräte der Karawane zurückgriff und nicht meine eigenen, denn die würde ich vermutlich noch dringend brauchen, wie auch immer dies ausging.
    Als ich dasaß und getrocknetes Fleisch kaute, fühlte ich mich seltsam losgelöst, wie ein Besucher in einer fremden Stadt, deren Bräuche und sogar Sprache er nicht kennt. Estrada hatte in der vergangenen Nacht recht gehabt, trotz meiner Einwände. Ich war nur ein einfacher Dieb. Bei diesen Leuten hatte ich nichts verloren. Heldentaten und heroische Gesten waren schön und gut für jene, die etwas zu gewinnen hatten, aber ich wäre in jedem Fall unwillkommen gewesen, wer auch immer letztendlich an der Spitze stand. Estrada brauchte mich jetzt vielleicht. Würde sie sich immer noch über meine Präsenz freuen, wenn ich mich im befreiten Castoval wieder meinem Beruf widmete?
    Wir rasteten erst seit fünfzehn Minuten, als Mounteban zur Mitte der Karawane ritt und rief: »Auf die Beine mit euch! Versucht euch daran zu erinnern, dass wir uns beeilen müssen, wenn wir überleben wollen.«
    Überall erklangen protestierende Stimmen, insbesondere weiter hinten, wo sich die Älteren und Schwächeren versammelt hatten. Einige wenige von ihnen standen auf, doch die meisten blieben sitzen. Mounteban lief rot an, als er das sah.
    Estrada hatte dem alten Arzt beim Anlegen der Verbände geholfen, wandte sich von ihm ab und ging mit langen Schritten zu Mounteban. »Es ist nicht gleich unser Verderben, wenn sich die Leute noch etwas länger ausruhen können, Castilio.«
    »Jeder vergeudete Moment vergrößert die Gefahr, dass man uns wie Schweine abschlachtet.«
    »Die Kranken und Verwundeten sind erschöpft. Einige von ihnen haben noch nichts gegessen. Wenn wir so weitermachen, ist es gar nicht nötig, dass uns Moaradrid den Rest gibt.«
    Mounteban wirkte, als wollte er Estrada sagen, was

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