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Im Schatten der Königin: Roman

Im Schatten der Königin: Roman

Titel: Im Schatten der Königin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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eindringlich. »Sag mir: Was denkt sie über Amys Tod?«
    Sie holte scharf Luft. Ich hatte absichtlich ihren Namen benutzt und mit ihr gesprochen, als sei sie noch eines von Janes kleinen Kindern, die mir bei meinen Besuchen entgegenliefen. Henry blickte beunruhigt über seine Schulter, doch sein Bursche befand sich noch immer nicht im Zimmer, und noch dazu hatte ich leise gesprochen.
    »Tom«, flüsterte Mall, als befürchtete sie, die Wände könnten Ohren haben, »als Kind hat die Königin ihre Stiefmutter den Kopf verlieren sehen, weil deren Herz für jedermann offen zu lesen war. Sie hat gelernt, wie man sein Herz verbirgt, besser als jeder andere, den ich kenne.«
    Ich öffnete den Mund, um sie darauf hinzuweisen, dass sie mit sich selber im Widerspruch stand, hatte sie doch eben erst behauptet, dass Katherine Ashley alle Geheimnisse der Königin kannte. Aber ich kam nicht dazu, etwas zu äußern.
    »Himmelherrgott«, fuhr Henry Sidney uns an, »wollt ihr uns um Kopf und Kragen reden? Genügt es nicht, dass der ganze Hof sich fragt, ob die Königin und Robin auf Amys Grab tanzen und ihre Hochzeit feiern wollen? Genug ist genug! Das Beste, was wir tun können, ist, uns so bald wie möglich vom Hof zu entfernen, dringende Geschäfte auf dem Land vorzuschützen und zu hoffen, dass niemand uns beschuldigt, der armen Gans selbst den Hals gebrochen zu haben!«
    In der abrupten Stille, die sich zwischen uns senkte, hätte man eine Nadel auf den Boden fallen hören, so laut wie einen Eiszapfen. Dann sagte Mall mit einer Stimme, die mich an ihren Vater erinnerte, als er von Königin Marys Ankunft in London hörte: »Vetter, hast du überhaupt schon etwas gegessen, seit du an den Hof gekommen bist? Du musst hungrig sein.«
    Ich erkannte eine Aufforderung zu gehen, wenn ich sie hörte. Da ich weder der Zeuge eines Ehestreits werden wollte, noch Aussicht hatte, danach noch etwas für mich Wichtiges von Mall zu erfahren, log ich, wie es erwartet wurde, und behauptete, in der Tat noch keinen Bissen zu mir genommen zu haben. Wir verabschiedeten uns in aller Höflichkeit, die nicht verbarg, was nach meinem Aufbruch darauf wartete, vom Zaun gebrochen zu werden. Dabei galten Sir Henry und Mall als das glücklichste Paar in der Familie. Es ist, dachte ich, als ströme von Amys Tod Bitternis aus, wie ein dunkler Fluss, der seine Last ins Meer trägt. Wenn ich heute nach Kidderminster zurückkehre, wie würde mich Margery wohl empfangen? Sie war gewiss nicht glücklicher als Henry Sidney darüber, dass die Nähe zu den Dudleys ihre Familie ein weiteres Mal in höchste Gefahr bringen konnte.
    Ich erinnerte mich an die Unterredung, die wir führten, ehe ich Robin den Vorschlag machte, Amy zu Anthony Forster nach Cumnor zu schicken. Margery hat die Anmut, die ihr seit jeher zu eigen war, nie verloren, aber niemand würde sie mehr mit einem jungen Mädchen verwechseln. An jenem Abend, als wir unsere letzte Unterredung über die Dudleys führten, trug sie in der Vertrautheit unseres Schlafgemachs keine Haube, und ich sah graue Strähnen in ihren braunen Flechten aufblitzen. Als ich ihr einen Arm um die Hüfte legte, fühlte ich die Spuren, die zwei Kinder und ein drittes, das uns gestorben ist, an ihr hinterlassen hatten. Die Adern auf ihren Händen zeichneten sich stark gegen ihre Haut ab, als sie meinen Arm zurückschob.
    »Tom«, sagte sie, »du wirst deinem Vetter Robin schreiben müssen, morgen schon, und ihm mitteilen, dass my lady sich nach einem Ortswechsel sehnt.«
    Damals tat ich zuerst so, als wüsste ich nicht, wovon sie sprach, und Margery wurde deutlicher, auf ihre Weise. Wenn man Jahre miteinander lebt, dann kennt man einander gut genug, um in jedem Satz einen unausgesprochenen Gedanken mitzuhören.
    »Als ich unseren Sohn Ned heute ins Bett brachte, wünschte er sich, er hätte noch eines der Zuckerwerke, die du ihm immer mitbringst. Du hast es aufgegessen, sagte ich ihm, und du kannst nicht beides haben, ein Zuckerwerk zum Anschauen und einen vollen Magen. Entweder das eine, oder das andere.« Sie schaute mich an, und ihre Augen waren im Dämmerlicht unseres Gemachs groß und dunkel. »Ein Junge mag sich hin und wieder den Magen verderben, weil er es nicht besser weiß, Tom«, sagte sie. »Aber es besteht ein Unterschied zwischen einem Fehler und fortgesetzter Torheit, und ein Mann weiß das.«
    Im Gegensatz zu Amy war Margery keine Schönheit, obwohl ich sie immer als reizvoll empfunden hatte. Aber die Weisheit und

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