Im Schatten der Königin: Roman
Brücke stecken die Lanzen, auf denen die Köpfe der Verräter aufgespießt sind, die im Tower hingerichtet wurden. Seit mein Mädchen den Thron bestieg, war niemand mehr durch Axt oder Schwert gestorben, und die Witterung hatte alle alten Schädel längst unkenntlich gemacht. Aber ich fragte mich plötzlich, ob Thomas Seymours Kopf noch darunter war oder man ihn schon vor Jahren abgenommen und verscharrt hatte. Die Häupter von John und Guildford Dudley waren noch deutlich erkennbar gewesen, als Elizabeth in den Tower gebracht wurde, und damals fürchteten wir, dass ihr eigener Kopf bald dazukommen konnte.
Als der alte König die Klöster auflösen ließ, hat er Sorge getragen, die Abtei von Westminster in eine Kirche umzuwandeln, denn viele seiner Vorfahren sind dort begraben worden, und er wollte verhindern, dass dort Plünderungen stattfanden. Er selbst liegt nicht hier; seine eigene letzte Ruhestätte hat er vorsichtshalber in der Georgskapelle von Windsor Castle gewählt. Wo seine Seele sein mag, im Himmel oder in der Hölle, weiß Gott allein.
Ich betrat die Kirche, um ein Gebet zu sprechen, ehe ich Cecils Haus aufsuchte. Wenn ich je Erleuchtung gebraucht hatte, um zu wissen, was richtig und was falsch war, dann jetzt.
Mildred Cooke war die zweite Gemahlin William Cecils, und ich hatte Catherine Carey nicht belogen, als ich davon sprach, wie beschäftigt sie mit ihren Kindern war. Erst im letzten Herbst war ein drittes zu denen gekommen, die sie ihm bereits geboren hatte, und dann gab es noch einen Sohn aus seiner ersten Ehe mit der verstorbenen May Cheke. Seit der Zeit, in der ich die Gastfreundschaft der Cecils genossen hatte, wusste ich, dass Mildred sich selbst um ihre Kinder kümmerte, statt sie Ammen und Gouvernanten zu überlassen, und das, obwohl ihr Gatte damals schon ein Mann von Rang und Wohlstand war. Daher erstaunte es mich nicht, dass mich eine Magd direkt in die Kinderstube führte. Inzwischen gab es zwar sowohl Ammen als auch Kinderfrauen für die beiden erstgeborenen Mädchen, aber ihr jüngstes Kind, der kleine William, war sehr kränklich und brauchte, da war sie überzeugt, seine Mutter. Obwohl die Ärzte, die man gerufen hatte, ihr nichts Gutes prophezeiten, war Mildred fest entschlossen, an die Genesung ihres Jüngsten zu glauben. »Er wird in ein paar Wochen ein Jahr alt«, sagte sie, ohne mich anzusehen, »und dann wird alles gut.«
Ich sagte nichts, um ihr Hoffnung zu machen. Mildred Cecil war als eine der gebildetsten Frauen des Landes bekannt. Wenn ein Säugling krank wurde, noch ehe er sein erstes Jahr vollendete, dann starb er in fast allen Fällen. Da machte die Natur keinen Unterschied zwischen armen und reichen Kindern. »Es muss eine schwere Zeit für Euch sein.«
Sie nickte. »Gott vergebe mir, aber gerade jetzt wünschte ich, Königin Mary wäre noch am Leben und William nicht im Kronrat, ganz zu schweigen davon, der wichtigste Minister im Land zu sein. Dann wäre er nämlich hier bei mir, und nicht bei der Königin.« Sie strich ihrem wimmernden Kind zärtlich über sein Gesichtchen.
»Das kann Euch niemand verdenken.«
»Ich bin stolz auf ihn«, beeilte sich Mildred zu sagen, weiterhin ohne zu mir aufzusehen. » Natürlich bin ich stolz auf ihn. Aber manchmal ist es hart, dass die Staatsgeschäfte Vorrang haben und die Königin mehr von meinem Gemahl sieht als seine Kinder und ich.«
Niemand war je auf die Idee gekommen, William Cecil und mein Mädchen zu verdächtigen, eine Affäre zu haben, obwohl sie in der Tat mehr Zeit miteinander verbrachten, als Elizabeth es sonst mit einem Mann tat, einschließlich Robin Dudleys. Vielleicht lag das daran, dass sich auch das böseste Klatschmaul Cecil, der in ein paar Tagen sein vierzigstes Jahr vollenden würde, aber schon vor einem Jahrzehnt wie ein Mann in mittleren Jahren gewirkt hatte, nicht als Herzensbrecher vorstellen konnte. Man hatte ihm nie, weder in seiner ersten noch in seiner zweiten Ehe auch nur im Leisesten Untreue nachgesagt; der Ruf, seinen Mantel nach dem Wind zu hängen, war ausschließlich politischer Natur. Aber eine Mutter, die sich um ihr Kind sorgte, konnte man nicht damit trösten, dass sie im Gegensatz zur verstorbenen Amy Dudley zumindest nicht eifersüchtig sein musste.
Das Kind beruhigte sich schließlich, und Mildred Cecil übergab es einer Amme, die sich mit ihm im Arm auf einen Hocker ans Fenster setzte. Zum ersten Mal, seit ich das Zimmer betreten hatte, wurde mir Mildreds ungeteilte
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