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Im Schatten der Königin: Roman

Im Schatten der Königin: Roman

Titel: Im Schatten der Königin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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groben Klotz ein ebenso grober Keil gehöre, und der Gedanke an sie gab mir einen Fingerzeig, wie ich diesem Angriff begegnen konnte.
    »Soll das heißen, dass my lady immer noch in der Kapelle liegt?«, fragte ich und stemmte beide Hände gegen meine Hüften. »Seit sechs Tagen? Lasst Ihr sie tatsächlich vor aller Augen verwesen? Was für eine Schande!«
    Das half. Pirto hörte auf zu schluchzen, obwohl sie ihre Finger immer noch fest gegen ihre Wangen gedrückt hielt. Mrs.Odingsells presste die Lippen zusammen.
    »Nun, Ihr seid es doch, der die Beerdigung zu …«
    »Himmelherrgott noch mal!«, fluchte ich, und es war nur zum Teil gespielt. »Jedes Kind weiß doch, dass man Leichen einbettet, wenn es länger dauert mit der Beerdigung, und ich musste nun einmal damit warten, das zu veranlassen, bis die Geschworenen ihre Untersuchungen beendet hatten, und anderen Geschäften nachgehen. Aber Ihr, Mistress Odingsells, Ihr wart hier!«
    Edith Odingsells Augen verengten sich. »Bis sie entschieden haben, ob sie überhaupt auf geweihtem Boden beerdigt werden darf, das meint Ihr doch, also redet nicht um den heißen Brei herum, Tom Blount.«
    »Ich rede um gar nichts herum, Mistress. Ich habe mich allerdings darauf verlassen, dass Euer Schwager Anthony genügend Verstand hat, um my ladys Leiche nach der Untersuchung unter die Erde zu betten, bis das ordentliche Begräbnis stattfinden kann, und nun sagt Ihr mir, dass sie vor aller Augen dem Verfall ausgesetzt ist? Und keiner hier hat den Anstand besessen, das zu verhindern?«
    Pirto ließ die Arme sinken. Ihre Augen waren deutlich gerötet, ihr Mund leicht geöffnet. Ich muss zugeben, dass es ein nicht unbefriedigendes Gefühl war, zur Abwechslung Schuldbewusstsein in anderen Gesichtern geschrieben zu sehen, statt es selbst mit mir herumzutragen. Selbst Mrs.Odingsells blickte unbehaglich und betroffen drein.
    »Ich war seit vier Tagen nicht mehr in der Kapelle, das muss ich gestehen«, murmelte sie, »und so ungern ich es zugebe – Ihr habt recht, Blount. Wir sollten uns gleich darum kümmern. Pirto, geh zu Hal Latimer und sag ihm, er möge umgehend ein vorläufiges Grab für my lady Dudley ausheben.«
    »Gewiss, Mistress Odingsells.« Pirto knickste und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.
    »Warte auf mich, Mädchen. Ab sofort wird dies alles unter meiner Aufsicht geschehen«, sagte ich, zufrieden damit, dass ich nun wieder die Zügel in der Hand hielt. »Ich traue sonst keinem mehr zu, es richtig zu machen.«
    Edith Odingsells schnaubte wütend durch die Nase, doch ihr fielen offenbar keine Einwände mehr ein.
    Ich zog in Erwägung, Pirto gleich auf dem Gang nach Frobisher und dem Brief zu fragen, doch entschied, die Qualen der Unsicherheit für mich arbeiten zu lassen, und legte ihr nur schweigend eine Hand auf die Schulter, während ich sie vor mir in Richtung Gesindequartiere gehen ließ. Außerdem gab mir das noch etwas mehr Zeit, mir meine Worte zurechtzulegen. Welchen Grund konnte es dafür geben, dass sie es vorzog, nicht mit mir allein zu sprechen? Meinte sie, den Preis in die Höhe treiben zu können, je länger sie mich im Ungewissen ließ?
    Und wo, verdammt noch mal, war Frobisher?

Kapitel 14
    Samstag, 14. September 1560
    H al Latimer und Fred Hughes aufzustöbern, um ihnen mitzuteilen, dass sie ein vorläufiges Grab für Amy ausschaufeln sollten, war nicht weiter schwer. Hughes machte darauf aufmerksam, dass der Sarg, an dem er seit Montag schreinerte, zwar gerade fertig geworden, doch noch nicht genügend poliert und daher nicht bereit war, es sei denn, ich würde dafür geradestehen, dass ein unpolierter Sarg bei der richtigen Beerdigung eingesetzt würde.
    »Lady Dudley wird mit allen Ehren bestattet werden«, sagte ich knapp. »In der Nacht vor ihrer endgültigen Beisetzung wirst du Zeit genug haben, den Sarg zu polieren. Und nun fort mit euch zweien. Pirto, du begleitest mich ins Speisezimmer.«
    Claire Latimer hatte mein Frühstück noch nicht abgeräumt, im Gegenteil: Ich fand noch dazu einen Krug mit Most vor, aus dem ich einen tiefen Schluck nahm, während Pirto mich schweigend beobachtete. Dann setzte ich mich auf einen der Schemel, brach mir etwas von dem frischen Brot ab und kaute genüsslich, bevor ich mich an sie wandte.
    »Warum hast du mich angelogen, als ich dich gefragt habe, ob du lesen kannst, Pirto?«
    »Sir, Ihr habt mir Angst gemacht, und der Kummer um my lady hat mir fast den Verstand geraubt. Da wusste ich kaum, was ich

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