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Im Schatten der Königin: Roman

Im Schatten der Königin: Roman

Titel: Im Schatten der Königin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Abingdon wirklich verlassen hatte, denn den Auskünften des ehrlichen Ned konnte man nur bedingt trauen; er mochte mir um Stunden voraus gewesen sein.
    »Ich werde im Speisezimmer auf sie warten, Latimer«, sagte ich, denn ich wollte möglichst wenige Zeugen haben. Für gewöhnlich nahm niemand sein Frühstück im Speisezimmer ein, ganz im Gegensatz zum Abendessen; keiner würde uns jetzt dort stören. Wenn Latimer mir allerdings gleich mitteilte, dass Pirto ebenso wenig auffindbar war wie Frobisher, dann würde mir nichts anderes übrigbleiben, als beide suchen zu lassen. Wenn ich beide suchen ließ, dann würde ich einen Grund dafür angeben müssen. Und damit machte ich sie zu Verdächtigen, ob ich nun wollte oder nicht.
    Das Speisezimmer war seit dem gestrigen Abend gut aufgeräumt worden; die Holzvertäfelung der Wände war poliert, die Schemel waren noch ordentlich unter den Tisch geschoben, und der Lehnstuhl am Kopfende stand so gerade, dass Forster gewiss heute noch nicht seinen Hintern darauf plaziert hatte. Ich zog einen der Schemel hervor und ließ mich schwer auf ihn fallen.
    Ich dachte an Amy, die mich einmal einen guten Mann genannt hatte, und an meine Kinder und versuchte, zwischen einer Lüge abzuwägen, die Frobisher und Pirto an den Galgen bringen würde, und der Aussicht auf meinen eigenen Untergang. Im Grunde wusste ich, was ich wählen würde. Die Erkenntnis schmeckte bitter in meinem Mund. Ein Grund mehr, um tatsächlich etwas zu essen, obwohl ich kaum Hunger hatte.
    Als Claire Latimer das Speisezimmer betrat, beladen mit Brot und Äpfeln, entschlüpfte mir ein Seufzer. »Pirto ist nicht auffindbar, wie?«, fragte ich.
    »Doch, Sir«, gab Claire Latimer verblüfft zurück. »Sie hilft nur Mrs.Odingsells gerade beim Ankleiden, deswegen hat mein Bruder mich gebeten, Euch zu bedienen.«
    Ich wusste nicht, ob ich über diese Auskunft erleichtert sein sollte oder nicht. »Hat Mrs.Odingsells nicht ein eigenes Mädchen?«
    »Milly hat heute einen freien Tag, Sir, weil ihr Vater gestorben ist.«
    Ich nickte, schnappte mir einen der Äpfel und fragte, wo sich Mrs.Odingsells’ Zimmer befand. »Lass das Brot für mich stehen.« Den Apfel aß ich auf dem Weg. Sein frischer, fast zu saurer Geschmack wirkte wie ein leichter Schlag ins Gesicht, den ich mir verdient hatte. Warum ging ich eigentlich vom Schlimmsten aus? Pirto war nicht mit Frobisher über alle Berge. Es mochte sogar sehr wohl sein, dass sie mit ihrer Bemerkung einfach nur ihr Glück erproben wollte. Sie wusste, dass wir nach weiteren Briefen Amys suchten, und sie war offenbar nicht so harmlos, wie ich zuerst angenommen hatte. Da war es doch möglich, dass sie nur vorgab, im Besitz eines solchen zu sein. Sie war schließlich mit Amy in Kidderminster gewesen und konnte das ein oder andere beobachtet haben, das sie zu dem Schluss kommen ließ, ich sei ein möglicher Empfänger für ein kompromittierendes Schreiben. Oder, noch besser: Frobisher, mein unternehmungslustiger Frobisher, hatte das Ganze erfunden, um sich mir gegenüber als gewitzter Ermittler und vertrauenswürdiger Mann darzustellen … nein, das wohl kaum. Ich mochte nicht sicher sein, was ich von ihm zu halten hatte, aber dumm war er nicht, und eine solche Lüge hätte sich zu schnell aufgeklärt. Auf jeden Fall aber galt es nun, nicht wie eine arme Seele kurz vor dem Jüngsten Gericht aufzutreten, sondern als Mann mit ruhigem Gewissen, dem nichts etwas anhaben konnte.
    Ich hätte schon früher etwas essen sollen.
    Mein Klopfen blieb unbeantwortet, also hämmerte ich noch einmal heftiger gegen die Tür und rief: »Mistress, seid ihr da?«
    Edith Odingsells’ Stimme, die seit unserer Kindheit nicht angenehmer geworden war, schallte zurück: »Seit Ihr das, Tom Blount? Ich dachte, Eure Gegenwart würde uns weiterhin erspart bleiben. Kommt in einer Stunde wieder. Ich bin nicht bereit, Euer hässliches Gesicht zu ertragen, noch ehe ich gefrühstückt habe.«
    Bei der Vorstellung, unsere Eltern hätten uns tatsächlich miteinander verheiratet, schauderte es mich erneut.
    »Ihr müsst mein Gesicht überhaupt nicht ertragen. Ich will mit Pirto sprechen. Schickt sie heraus, und Ihr seid mich los.«
    Durch die Eichenholztür konnte man gesprochene Worte nur verstehen, wenn jemand seine Stimme hob, wie wir es gerade getan hatten, aber nicht, wenn getuschelt wurde, und gerade jetzt passierte das.
    »Pirto will nur in meiner Gegenwart mit Euch reden«, rief Edith Odingsells schließlich. »Was

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