Im Schatten der Königin: Roman
habt Ihr dem armen Mädchen nur getan?«
Genug war genug. Ich öffnete die Tür. Mrs.Odingsells war bereits vollständig in ihrem üblichen Witwenschwarz angekleidet, und sie wirkte so hellwach wie eh und je. Nur ihre Haube war noch nicht ordentlich auf ihrem Haar festgesteckt, was den sich darunter hervorkringelnden, grauschwarzen Locken einen seltsam spielerischen Anstrich gab. Was Pirto betraf, so stand sie mit gesenkten Lidern und gefalteten Händen in einer Ecke und wirkte fast so andächtig, wie ich sie vor Amys aufgebahrter Leiche erlebt hatte.
Vor Edith Odingsells nach einem Brief von Amy zu fragen, war unmöglich. Nicht zu fragen mochte allerdings Pirto bestätigen, dass sie mich in der Hand hatte; ein Mann, der mit der Gemahlin seines Vetters nur freundliche Worte getauscht hatte, würde nicht zögern, sie in rechtschaffenem Zorn zu fragen, was zum Teufel sie gegenüber Frobisher andeuten hatte wollen. Ich musste einen Mittelweg finden.
»Pirto, es ist schön, dich hier zu sehen«, sagte ich mit väterlicher Freundlichkeit. »Wenn Mrs.Odingsells dich in ihre Dienste nimmt, dann ist für deine Zukunft ja gesorgt. Das ist ein Glück, denn ich glaube nicht, dass Lady Sidney oder die Gräfin Huntington eine Zofe in ihre Dienste nehmen möchten, die bald heiraten wird.«
Edith Odingsells hatte begonnen, an ihrer Haube herumzunesteln, ließ nun aber die Hände sinken und funkelte mich misstrauisch an; meine Freundlichkeit überzeugte sie offenkundig nicht im mindesten. »Über eine Einstellung haben wir noch nicht gesprochen«, wies sie mich zurecht. »Und was höre ich da über eine Ehe, Pirto? Natürlich freue ich mich für dich, wenn es so ist. Aber wenn du Heiratspläne hegst, dann solltest du wirklich jetzt um Erlaubnis bitten, wo my lord Dudley anderes zu tun hat, als sie dir zu verweigern. Und verschwende deine Zeit nicht damit, Tom Blount zu fragen. Du warst Lady Dudleys Zofe, und damit unterstehst du ihm nicht, also brauchst du auch nicht Angst vor ihm zu haben.« Sie wandte sich wieder zu mir um. »Er schüchtert einfach nur gerne Menschen ein, auch wenn er keine Gewalt über sie hat.«
Zu einem anderen Zeitpunkt hätte ich mich wohl zu einer Entgegnung hinreißen lassen, denn das gesamte Gesinde im Haushalt Robin Dudleys unterstand sehr wohl meiner Autorität, aber das Gefühl, den Kopf verlieren zu können, tut Wunder für die Selbstbeherrschung. Ich blieb bei meinen Prioritäten.
»Ja, unsere Pirto will in den heiligen Stand der Ehe eintreten, und ich freue mich für sie«, sagte ich und lächelte sie so herzlich wie möglich an. »Mir ist jedenfalls keine andere Deutung dessen möglich, was sie Frobisher erzählte, der sich demnach wohl als der glückliche Bräutigam betrachten darf. Oder hattest du etwas anderes im Sinn, Pirto? Wenn ja, kannst du es mir erklären, gleich hier und jetzt.«
Es war kein Glücksspiel, auf das ich mich gerade einließ, denn ich diesem Punkt war ich mir meiner Sache sicher. So wenig, wie ich wollte, dass Mrs.Odingsells von möglichen Briefen Amys an mich erfuhr, so wenig konnte Pirto daran gelegen sein, einfach so damit herauszurücken. In dem Moment, in dem sie eine solche Beschuldigung vor Zeugen laut aussprach, wurde diese für sie wertlos, da sie sich nicht mehr als Geheimnis verkaufen ließ. Nein, ich rechnete damit, dass sie nun einen Vorwand finden würde, mit mir allein zu sprechen, um mir ihre Forderungen zu unterbreiten.
Aber wieder überraschte mich das Frauenzimmer.
Pirto schlug die Hände vor ihr Gesicht. »Ich kann doch nicht an Ehe denken, wo my lady noch nicht einmal in ihrem Grab liegt!«, stieß sie hervor – und brach in lautes Schluchzen aus! »Ich kann an gar nichts denken als an my lady in der Kapelle! O mein Gott!«
Auf Tränen war ich nicht gefasst gewesen, doch ich hätte es sein sollen. Als verheirateter Mann wusste ich schließlich über diesen höchst ungerechten weiblichen Ausweg aus beinahe jeder Konfrontation Bescheid. Doch das half mir nun auch nicht weiter, während Pirto schluchzte, dass es einen Stein erweicht hätte, und ab und zu erstickt »meine arme Lady Amy« ausrief. Ich merkte, wie trotz meines besseren Wissens, dass Tränen die heimtückischsten aller weiblichen Waffen darstellten, all meine Schuldgefühle wieder an die Oberfläche krochen.
Edith Odingsells warf mir einen erbosten Blick zu. »Da seht Ihr, was Ihr anrichtet, Ihr grober Kerl«, zischte sie.
Meine Gemahlin Margery pflegte zu sagen, dass auf einen
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