Im Schatten der Königin: Roman
Haube und ihr Haar so ordentlich und adrett geordnet waren, als wäre sie gerade erst aufgestanden, und der Sturz hätte beides doch etwas verschieben müssen, nicht wahr?« Sie sah mir fest in die Augen. »Ich meine, dass sie ihren Gatten seit Monaten nicht mehr hier gesehen hat und damit leben musste, dass jeder Spatz von den Dächern pfiff, wie sehr er sie von sich geschieden oder tot wünschte. Das meine ich.«
So kamen wir nicht weiter. Ich biss die Zähne zusammen.
»Edith«, fragte ich so sanft wie möglich, »was hat sie zu Euch gesagt?«
»Mrs.Odingsells«, verbesserte sie mich herrisch, obwohl die Bitterkeit der letzten Sätze nicht mehr ganz so schwer in ihrer Stimme lag. »Für Euch immer noch Mrs.Odingsells, Tom Blount. Nun, my lady hat viel zu mir gesagt. Die Tage waren lang, und es gab viel zu erzählen. Wenn weder Ihr noch Euer Herr in all den Monaten Geduld hattet, sie zu hören, dann verdient Ihr es auch jetzt nicht. Aber vor zwei Tagen, da hat my lady Amy gar nicht viel gesagt. Nur, dass es ihr gleich sei, wie viel Volk auf den Jahrmarkt ginge, aber wenn ich nicht auch dazu gehöre, dann sei ich hier nicht länger willkommen.« Sie schüttelte den Kopf. »So oft war sie unter unserem Dach zu Gast, als mein Seliger noch lebte, und dann das. Aber es war Euer Lord Robert, der sie so weit getrieben hat, Tom Blount, er und kein anderer! Sie kannte sich selbst nicht mehr.«
In dem Schweigen, das einkehrte, bildete ich mir ein, selbst die Holzwürmer hören zu können. Ganz gewiss hörte ich die heftigen Atemzüge von Edith Odingsells, die flachen von Mrs. Owen und meine eigenen. Ich hörte das Schleifen von Absätzen, während jemand, der sich festes Schuhwerk leisten konnte, den Gang entlangging, fort von diesem Raum. Es erschien mir unmöglich, dass ein heftiger Wortwechsel oder Hilferufe von der Treppe aus hier nicht gehört worden wären.
Sie kannte sich selbst nicht mehr, hatte Mrs.Odingsells gesagt.
Wir hören alle, was wir wollen, dachte ich, aber just diesen Satz hatte ich nicht hören wollen.
»Mrs.Owen«, sagte ich schließlich, »wann habt Ihr my lady zuletzt gesehen?«
Die alte Frau legte ihren Kopf noch ein wenig schiefer.
»Anthony Forster sagte mir, dass sie mit Euch essen wollte.«
»Mr.Owen war der Leibarzt des Königs, wisst Ihr«, entgegnete sie mit einer hellen, zirpenden Stimme. »Das ist eigentlich unser Haus.«
»Und Lady Dudley?«, hakte ich nach. »Wann habt Ihr sie zum letzten Mal gesehen, Mistress?«
Sie verzog abschätzig den Mund, ehe sie antwortete. »Jane Dudley nennt sich doch Herzogin von Northumberland dieser Tage, nicht wahr? Sie wird schon sehen, wohin das führt, sie und John Dudley. Es ist nicht gut, wenn einfache Leute zu hoch hinauswollen. Sein Vater hat auch schon zu hoch hinausgewollt. Der Schuster soll bei seinem Leisten bleiben. Nein, nein, das wird nicht gut enden. Und schaut euch Janes Kinder an: Teilen sich Lehrer mit dem Prinzen, mit Lady Elizabeth und der ältesten Grey-Schwester. Das kann ihnen doch nur Flöhe ins Ohr setzen.«
»Nicht Jane«, sagte ich, doch noch während ich sprach, wusste ich, dass es vergeblich war. »My lady Amy. Lord Roberts Gemahlin.«
»Aber John Dudleys Vater hieß Edmund«, protestierte sie verwirrt und blinzelte. Edith Odingsells erhob sich aus ihrem Stuhl, kniete sich mit einem kleinen Schnaufer neben den der alten Dame und ergriff besänftigend ihre Hände.
»So ist es«, murmelte sie. »Stickt weiter, Mrs.Owen. Es hat schon seine Ordnung.« Dann wandte sie sich zu mir um. »Sie lebt in der Vergangenheit, Tom Blount. Von dem, was hier und heute geschieht, nimmt sie kaum noch etwas wahr, sie merkt nur, ob jemand sanft oder zornig mit ihr spricht. Von ihr werdet Ihr nichts erfahren.«
Unterdessen tat Mrs.Owen, wie ihr geheißen, und begann wieder zu sticken, während sie ein Lied vor sich hin summte, eines von denen, die der alte König verfasst und die man zu bewundern hatte, als ich noch ein Kind war. Es war hoffnungslos. Selbst wenn sie Amy am Sonntag gesehen hatte, selbst wenn sie irgendetwas gehört hatte und sich darauf besann, so würde niemand ihrer Aussage in diesem Zustand glauben. Wenn sie nicht die wohlbetuchte Witwe eines königlichen Leibarztes wäre, von der jeder erben wollte, dann hätte ihre Familie sie gewiss schon nach Bedlam gebracht, zu den übrigen Irren. Manchmal fragte ich mich, ob es sich wirklich lohnte, so alt zu werden.
Der Raum, den Amy seit ihrer Ankunft bewohnt hatte, war der
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