Im Schatten der Leidenschaft
gelangweilt.
»Aber ich will es wissen«, erklärte sie und kam zu seinem Bett. »Ich denke, ich habe ein Recht, es zu wissen.«
»Ach, ja?« Er war wirklich verärgert, sowohl wegen ihrer Heftigkeit als auch wegen der Hartnäckigkeit, mit der sie bei einer Sache blieb, die er auch vor sich selbst eigentlich nicht weiter klären wollte. »Und worin genau, du freche Göre, besteht dieses Recht? Gehst du womöglich davon aus, daß dein Zugang zu meinem Bett dir das Recht gibt, beliebig in meinen privaten Gefühlen und Gedanken zu wühlen?«
Chloe wurde dunkelrot. »Das habe ich nicht vorgehabt.«
»Was hast du denn vorgehabt?«
»Ich weiß es nicht.« Sie hatte tatsächlich genau so etwas vorgehabt, aber wenn es so deutlich in Worte gefaßt war, klang es schrecklich. Jetzt fühlte sie sich wirklich wie die Göre, als die er sie bezeichnet hatte, und als solche eindeutig in ihre Schranken gewiesen. Sie wandte sich mit einem leisen »Gute Nacht« zur Tür.
Hugo versuchte nicht, sie zurückzuhalten. Er fluchte lautlos und fragte sich, warum er nicht in all diesen unmöglichen Verwicklungen eine solche Schwierigkeit vorausgesehen hatte.
Er hatte sich einzureden versucht, daß sie nur ihre ersten sexuellen Gehversuche machen wollte und er ihr die Gelegenheit gab, das in Sicherheit zu tun. Seine eigenen Gefühle dabei hatte er streng zurückgehalten. Doch wenn sie jetzt anfing, sich von ihrer Liaison mehr zu erhoffen, würde er ernste Maßnahmen ergreifen müssen, um ihr das abzugewöhnen.
Ihm wurde klar, daß sie ihm die Möglichkeit dazu in die Hand gegeben hatte. Wenn sie ihn mit den klugen, weltgewandten Frauen locker flirten sah, die eher seiner eigenen gesellschaftlichen Sphäre angehörten, würde sie ihn vielleicht klarer verstehen, als wenn er dasselbe nur in einfachen Worten aussprach. Die Intensität ihrer Beziehung würde dabei nachlassen, und er bekäme die Gelegenheit, vor seinem Mündel die leidenschaftliche, quälende, besessene Art seines Begehrens für sie zu verbergen.
Wie hätte er ihr sagen können, daß es viele Gründe gab, die dagegen sprachen, daß sie heirateten? Er hatte ihren Vater getötet; er hatte ihre Mutter geliebt, die ihm die Zukunft ihrer Tochter anvertraut hatte, und wenn sie nicht ein Glück fand, das ihrer Schönheit und ihrem Vermögen entsprach, würde er das Vertrauen enttäuschen, das Elizabeth in ihn gesetzt hatte; er war doppelt so alt wie sie und ein armer Mann; er war ihr Vormund, und deshalb verboten ihm alle Prinzipien der Ethik, Vorteile aus dieser Beziehung zu haben, die nur seine eigenen Lebensumstände verbesserten.
Er hatte in seinem Leben schon viele verabscheuungswürdige Dinge getan, aber eine leidenschaftliche, lebensfrohe Unschuld an einen doppelt so alten Mann zu binden, der in der Krypta dabeigewesen und ihren Vater getötet hatte, war sogar für seine Verhältnisse zuviel.
Er beugte sich vor, um die Kerze auszublasen, und lag im Dunkeln in der Erwartung, daß der Schlaf ihm vielleicht den Gefallen tun würde. Nach einer Weile zündete er die Kerze wieder an, setzte sich auf und nahm ergeben sein Buch wieder zur Hand. Nach ein paar Minuten öffnete sich seine Tür.
»Willst du Backgammon spielen?«
Chloe stand in der Tür mit einem zaghaften kleinen Lächeln auf den Lippen, dem er unmöglich widerstehen konnte. Er hatte genug ernste Worte gesprochen für heute nacht.
»Du Schlimme«, schimpfte er. »Warum schläfst du nicht?«
»Ich kann nicht schlafen.« Sie faßte den Klang seiner Stimme als Einladung auf, schloß die Tür hinter sich und kam weiter ins Zimmer. »Ich war unglücklich. Ich wollte nicht so unmöglich sein und mich in deine Privatsphäre einmischen.«
Er legte sein Buch weg. »Komm her.«
Sie setzte sich neben ihn aufs Bett, immer noch zaghaft, die Augen erfüllt von einer quälenden Frage. »Bist du mir noch böse?«
»Nein, aber du sollst mir jetzt ganz genau zuhören. Solche Gespräche sind eine absolute Dummheit. Wenn du noch einmal dieses Thema ansprichst, werden wir von da an nur noch als Vormund und Mündel miteinander zu tun haben, ist das klar?«
Chloe nickte.
»Von jetzt an möchte ich, daß du alles genießt, was London und die Saison dir zu bieten haben«, fuhr er fort und legte einen Arm um sie. Sofort kuschelte sie sich mit einem erleichterten Seufzer in seine Umarmung. »Ich will, daß du viele Freunde hast, flirtest, tanzst, zu Picknicks und Tanzabenden gehst; du sollst dich mit Bewunderern umgeben, alle
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