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Im Schatten der Leidenschaft

Titel: Im Schatten der Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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auf sie zu und schwenkte unter lautem Rufen Stöcke. Sie blieben vor einem der hohen Häuser stehen, ein Stein flog durch die Luft und krachte gegen die Eingangstür. Die Menge wogte die Stufen hinauf, und ihre Rufe wurden lauter. Der nächste Stein flog, und im ersten Stock klirrte eine Fensterscheibe. Ein Stock hämmerte gegen die Tür.
    »Sie greifen das Haus von Lord Douglas an«, sagte Hugo. »So etwas haben sie schon an allen möglichen Orten der Stadt gemacht.«
    »Lord Douglas?«
    »Kabinettsminister«, erklärte er ihr abwesend, während er überlegte, ob es besser wäre, umzukehren oder direkt an der Menge vorüberzufahren.
    Dann kam er zu der Überzeugung, daß die Leute verärgert waren, aber nicht wild. Doch wie würden sie reagieren, wenn zwei Mitglieder der verhaßten Aristokratie direkt neben ihnen vorbeifuhren? In den letzten Monaten waren solche Übergriffe immer häufiger geworden. Das Massaker bei St. Peter’s Fields, das im Volksmund nach dem großen Sieg Wellingtons >Peterloo< genannt wurde, hatte, wie zu erwarten gewesen war, die Unruhen weiter angefacht. Viele Mitglieder der Regierung waren von der wilden Panikaktion der Polizei ebenso entsetzt gewesen wie die Opfer und die Mitglieder der Reformbewegung. Aber die Menge unterschied nicht zwischen den Regierungsmitgliedern, die ihnen wohlgesonnen waren, und jenen, die sie gern noch tiefer in den Staub der machtlosen Armut hätten treiben wollen.
    »Fahr weiter«, meinte Chloe eindringlich. »Sie werden uns schon nichts tun, und ich will wissen, was sie da rufen.«
    »Ich habe nicht die Absicht, dich einer solchen Meute -«
    »Ich war auch in Peterloo«, unterbrach sie ihn. »Ich bin auf ihrer Seite.«
    Während er noch zögerte, sprang sie plötzlich vom Wagen und rannte die Straße hinauf auf die Menge zu.
    »Chloe!« Er drückte die Zügel in die Hände seines Burschen und sprang hinter ihr her auf die Straße. Als er den Rand der Menge erreicht hatte, war sie schon mittendrin.
    »He, was’n mit dir los, Mann?« wollte ein massiger Kerl wissen. »Neugierig, was?« Er schwenkte seinen Stock, und sein Bieratem umwehte Hugo.
    »Auch nicht mehr als andere«, sagte Hugo kurz. Die brodelnde Menge schien kaum eine Richtung zu haben. Es wurden noch ein paar Steine geworfen und ein paar Rufe ausgestoßen, dann begann die Menge, sich zu verlaufen.
    Chloe saß auf den Stufen des Minister-Hauses, als die Menge sich zurückzog. Sie hatte den Arm um ein bibberndes Mädchen gelegt.
    »Wenn du das nächste Mal so einfach davonläufst, wie es dir
    Spaß macht, Chloe, wirst du endgültig meinen Unwillen zu spüren bekommen«, erklärte Hugo wütend. »Ich bin es wirklich gründlich leid, daß du dich immer in irgendwelche Handgreiflichkeiten einmischst.«
    »Sie ist umgestoßen worden«, sagte Chloe, als hätte sie keines seiner Worte gehört. »Und sie bekommt ein Kind, dabei ist sie doch selber noch eines. Sieh nur, wie dünn sie ist, und sie friert auch schon.« Sie rieb kräftig die mageren Schultern des Mädchens.
    Hugo gab sich geschlagen. Er hatte in seiner Marinekarriere schon früh gelernt zu erkennen, wann der Gegner unschlagbar war. Das Kind neben Chloe war vielleicht dreizehn, auch wenn sie kaum älter als zehn zu sein schien. Ihr geschwollener Bauch drängte sich an den fadenscheinigen, gestreiften Stoff ihres Rockes, der ihr einziger Schutz gegen den scharfen Herbstwind war. Ihre Lippen waren blau in ihrem dünnen, bleichen Gesicht, und ihre Füße waren so nackt wie bei ihrer Geburt.
    Wie Chloe an dieses Stück Strandgut der Gesellschaft geraten war, fragte er nicht weiter. Sie wurden anscheinend zu ihr hingezogen wie Eisenpläne zu einem Magneten ... oder war es umgekehrt? Wie auch immer - ihm war klar, daß sie das Mädchen bei sich aufnehmen würden, und er hielt es für sinnlos, eine Diskussion anzufangen.
    »Komm mit.« Er ging zurück zu seinem Wagen, den der Bursche bis zum Haus gebracht hatte.
    Chloe half dem Mädchen auf die Beine und murmelte ihr leise etwas zu, während sie sie in Richtung Wagen geleitete.
    Mit einem plötzlichen, erschreckten Ausruf machte das Kind ein paar Schritte rückwärts, als Hugo ihr in den Wagen helfen wollte. »Da geh ich nich’ rein. Wo bringt ihr mich hin? Ich hab doch nix Böses gemacht ... ich geh nich’ nach Bridewell.« Die Augen geweitet vor Angst in ihrem schmalen, schmutzigen Gesicht, wehrte sie sich und trat nach Hugo, der sie festzuhalten versuchte.
    »Schh«, sagte Chloe und nahm ihre Hand.

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