Im Schatten der Leidenschaft
war jetzt ein Ende seiner unglücklichen Liebesaffäre abzusehen. Er würde nur noch ein paar Monate erdulden müssen, bis er sie zum Altar begleiten und dort einem Mann übergeben konnte, der ihr entsprach, mit dem sie leben und Kinder haben würde ...
Chloe unterdrückte ein unglückliches Schluchzen und rannte die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Wie konnte Hugo nur so anders empfinden als sie?
Aber sie wußte es schon. Sie war zu jung, und sie war sein Mündel. Und jetzt, wo sie sich nicht einmal mehr körperlich liebten, konnte er sie nur noch als das sehen. Er schätzte sie nicht mehr in dieser Weise, und worauf konnten sie ohne das noch eine Beziehung aufbauen?
Warum war sie nur je auf die dumme Idee mit London gekommen? Sie blinzelte die Tränen weg, zog ihr Ausfahrkostüm an und wusch sich dann das Gesicht mit kaltem Wasser aus dem Krug auf dem Toilettentisch. Aber damals hatte sie noch nicht gewußt, daß sie Hugo Lattimer liebte. Sie war so mit ihren Zukunftsplänen und der aufregenden Gegenwart beschäftigt gewesen, daß sie sich keine Gedanken über ihre wahren Gefühle gemacht hatte. Und jetzt war alles nur noch Schall und Rauch.
Also würde sie Denis DeLacy heiraten. Das wäre auch kein schlechteres Schicksal als jedes beliebige andere, da sie ja nicht die eine einzige Zukunft bekam, die ihr etwas bedeutet hätte.
Sie drückte sich eine Samthaube auf den Kopf und rückte die Feder zurecht. Den Hut mochte sie nicht besonders, er war zu klein und nichtssagend - aber Hugo hatte ihn mit gewohnter Entschiedenheit ausgesucht. Bald würde er zu ihrer Garderobe oder sonst etwas in ihrem Leben nichts mehr zu sagen haben. Sie schluckte und versuchte vergeblich, den Kloß im Hals loszuwerden.
Sie ging zurück in den Salon. Denis war so erleichtert, sie aus dem Haus und in seine Kutsche bekommen zu haben, daß er weder bemerkte, wie blaß sie war, noch wie einsilbig sie auf seine Versuche, Konversation zu machen, reagierte.
Er fuhr schnell durch die Stadt. Völlig in Gedanken versunken, bemerkte Chloe zuerst nicht, wie eilig er es zu haben schien. Erst als sie am Primrose Hill beinahe mit einer entgegenkommenden Kutsche zusammengestoßen wären, kam sie plötzlich wieder ganz zu sich.
»Deine Pferde schwitzen«, sagte sie überrascht. Das war eine große Sünde für jeden, der einigermaßen mit Pferd und Wagen umgehen konnte. Sie sah ihn an und bemerkte, wie entschlossen hart sein Mund wirkte.
»Was ist los?«
Er sah sie an, und in seinen Augen lag ein Schimmer, der sie außerordentlich beunruhigte. »Nichts, warum? Macht dir die Fahrt keinen Spaß?«
»Es ist kälter, als ich erwartet hatte«, sagte sie und versuchte, so wie immer zu klingen. »Es ist sehr schlecht für deine Pferde, wenn du sie so antreibst.«
»Sie gehören mir, ich werde das schon selbst entscheiden«, sagte er kalt. Eines der Tiere stolperte in einem Schlagloch. Er knallte mit der Peitsche und traf das Ohr des Tieres.
»Tu das nicht!« rief Chloe, während sie noch versuchte, sich den eigenartig kalten Ton zu erklären. »Er konnte wirklich nichts dafür. Wenn du vorsichtiger gefahren wärst, wäre er nicht gestolpert.«
Plötzlich wußte sie, daß etwas entschieden nicht in Ordnung war. Aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was es war. Doch Denis sah einfach nicht mehr so aus wie der Mann, den sie kannte, und das seltsame Leuchten des Jägers lag wieder in seinen Augen.
»Halte den Wagen an«, forderte sie. »Ich will aussteigen.« Sie hatten Finchley Common fast erreicht, auf der schmutzigen Straße war kaum Verkehr und kein einziger Fußgänger in Sicht, aber sie wußte genau, daß sie keinen Zentimeter weiter in Denis DeLacys Wagen fahren wollte.
Er antwortete nicht, sondern knallte nur noch einmal mit der
Peitsche, so daß die Pferde im Galopp auf der großen Gemeindewiese von Finchley Common ankamen.
Der Wind pfiff über die verschneite Fläche und beugte die knorrigen, entblätterten Bäume. Die tiefen Fahrrinnen der Straße waren vereist, so daß das Eis unter den Hufen krachte.
Chloe schauderte in übler Vorahnung, und die feinen Härchen auf ihren Armen sträubten sich. Dann sah sie die Postkutsche vor ihnen unter einer Baumgruppe stehen. Ein Postillion, der bis zu den Ohren in seinen Umhang gehüllt war, stand neben den Leitpferden.
Das letzte Mal, als sie eine Postkutsche in dieser verdächtigen Weise hatte warten sehen, war damals mit Crispin auf der Straße nach Manchester gewesen. Doch
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