Im Schatten der Leidenschaft
falls sie noch länger in seinem Haus blieb. Ihm fiel ihre Frage wieder ein: Warum will mich niemand? Der Drang, sie an sich zu ziehen und zu streicheln, war genauso lächerlich wie unpassend, doch er spürte ihn dennoch.
»Was würdest du denn gern tun?« fragte er in einer Heftigkeit, die sein plötzliches Mitleid verbarg. »Wo würdest du denn gern hingehen?«
»Nach London.« Chloe sah auf, und die Tränen verschwanden plötzlich. »Ich möchte bei Hof vorgestellt und in die Gesellschaft eingeführt werden. Und wenn ich dann erst einmal verheiratet bin und mein Vermögen zur Verfügung habe, möchte ich ein Tierkrankenhaus eröffnen. Es dürfte nicht allzu schwierig sein, einen passenden Ehemann zu finden«, fügte sie hinzu. »Einen, der sich nicht allzuviel einmischt. Achtzigtausend Pfund sind keine schlechte Sache, und ich glaube, ich bin auch recht hübsch.«
Elizabeths Tochter hat eine Begabung für Untertreibungen, dachte Hugo. »Es wird nicht allzu schwierig sein, einen Ehemann zu finden«, stimmte er ihr zu. »Doch ob du einen finden kannst, der gewillt ist, deine Ideen zu unterstützen, Mädel, ist eine andere Frage. Ehemänner können ziemlich unnachgiebig sein, habe ich mir sagen lassen.«
Chloe runzelte die Stirn. »Natürlich hat Mama gesagt, daß Jasper will, daß ich Crispin heirate. Aber das werde ich ganz bestimmt nicht tun.«
Also das war es! Hugo leerte sein Glas und griff noch einmal nach der Flasche. Völlig einfach. Jaspers Stiefsohn aus der ersten Ehe seiner Frau würde somit Chloes Vermögen in die Familie bringen. Eine solche Ehe war nicht verboten - keine Spur von Blutsverwandtschaft. Vermutlich hatte Elizabeth eine solche Absicht Jaspers vorausgesehen. »Und warum nicht?«
Ihre Antwort war knapp und klar. »Crispin ist ein brutaler Kerl... genau wie Jasper. Er hat sein Pferd einmal vollständig zugrundegeritten, so daß es auf beiden Seiten von den Sporen blutete. Oh, und dann hat er immer Schmetterlingen die Flügel ausgerissen. Ich bin sicher, daß sich das nicht wesentlich geändert hat.«
Nein, so jemand wäre sicherlich kein passender Partner für eine Frau, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, benachteiligte Wesen der Tierwelt zu unterstützen. »Warum hat dein fluchender Papagei eigentlich nur ein Bein?« fragte er, ohne es recht zu wollen.
»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn in Bolton gefunden. Man hatte ihn in die Gosse gesetzt, und es regnete.«
»Das Fleisch ist fertig«, bemerkte Samuel lakonisch, während er den Spieß noch drehte. »Bleibt der Anwalt?«
Scranton sah eifrig zu seinem Gastgeber hinüber, der nur meinte: »Wenn Sie es wünschen.«
»Nun, ich denke, ich würde wohl weit nach der Essenszeit erst zu Hause ankommen«, sagte er und rieb sich die Hände bei dem köstlichen Duft, der vom Feuer herüberzog. »Also nehme ich dankend an.«
»Ich bin halb verhungert«, erklärte Chloe.
»Sie haben doch zum Mittagessen soviel Brot und Käse gegessen, daß es für eine ganze Kompanie gereicht hätte«, stellte Samuel fest und brachte das Fleisch zum Tisch.
»Aber das war vor Stunden. Soll ich Besteck holen?«
»Dort in der Schublade.«
Das scheußliche Kleid kann ihre anmutigen Bewegungen nicht verbergen, dachte Hugo, während er sie mit einer bemühten Vertrautheit durch seine Küche gehen sah, die ihn mit Vorah-nungen erfüllte. Er ging in den Keller hinunter, um Wein zu holen.
Chloe schob erwartungsvoll ihr Glas vor, als er den Korken aus der Flasche zog.
»Ich habe nichts dagegen, wenn du Burgunder trinkst, aber dies ist ein besonders feiner Tropfen, also kippe ihn nicht hinunter wie Wasser«, warnte er sie, als er ihr Glas füllte.
Scranton nippte an seinem Glas und schnurrte. Es mochte vielleicht ungewöhnlich sein, zum Essen in einem verfallenen Herrenhaus in der Gesellschaft eines Mannes und eines Dieners in der Küche zu sitzen, aber gegen das Essen war wirklich nichts einzuwenden.
Chloe schien ihm rechtzugeben. Sie aß ein kräftiges Stück Rindfleisch, dazu Pilze und Kartoffeln in Mengen, die Hugo erstaunten, denn er fragte sich, wo sie das in ihrer zarten Gestalt wohl alles unterbringe. Soweit er sich erinnerte, hatte Elizabeth immer nur einen Spatzenappetit gehabt. Er schüttelte amüsiert den Kopf und stellte fest, daß ihm diese Geste langsam zur Gewohnheit wurde, dann wandte er sich wieder dem ursprünglichen Thema zu.
»Scranton, Sie kennen beide Seiten der Familie von Miss Gresham. Gibt es irgendwelche weiblichen Verwandten, zu
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