Im Schatten der Leidenschaft
hatte. Aber sie hatte immer noch keinen Mantel an und war bei ihm im Hof geblieben.
»Ich habe dir doch gesagt, du sollst hineingehen!«
»Das war nicht nötig«, sagte sie, und ihr Mund verwandelte sich in die sture Linie, die ihm langsam bekannt vorkam.
»Geh und zieh den Mantel an!« befahl er kurzangebunden. Eine endgültige Auseinandersetzung mit seinem Mündel würde warten müssen, bis das Feuer unter Kontrolle war.
Chloe ging ohne weiteren Protest den Mantel holen und rannte dann zu den anderen zur Pumpe, wo sie in wildem Eifer Eimer füllten.
»Ich bediene die Pumpe«, sagte sie und entzog Billy den Schwengel.
Eine halbe Stunde später hatten sie das Feuer tatsächlich unter Kontrolle. Der Stall war solide aus gekalkten Steinen gebaut, und das Stroh und die Holzteile der Boxen brannten zwar lichterloh, aber schließlich war nichts Brennbares mehr übrig.
Chloe war schweißüberströmt vom Pumpen, ihre Hände hatten Blasen, ihr Nachthemd unter dem Mantel war zerrissen und rauchgeschwärzt, ihr Gesicht, ihre Hände und Füße schmutzig wie bei einem Bergarbeiter. Aber ohne jedes Zögern machte sie sich daran, die Pferde zu beruhigen und sie in der Scheune unterzubringen, wo der Gestank nach verbranntem Stroh und verkohltem Holz sie nicht erreichen konnte. Während sie damit be-schäftigt war, hoben die drei Männer Rosinante auf den Karren und begruben sie auf einem abseits gelegenen Acker.
Es war schon vier Uhr vorbei, als Billy in sein Bett über der alten Milchkammer ging, und Hugo, Samuel und Chloe in die Küche stolperten.
»Ich schätze, eine Tasse Tee wäre jetzt angebracht«, erklärte Samuel und setzte den Kessel ans Feuer.
»Ich bin völlig ausgedörrt«, meinte Chloe zustimmend und schälte sich aus dem Mantel. Sie rieb sich die brennenden Augen mit den Daumenballen.
»Komm her, du.« Hugo umfaßte ihre Taille, hob sie hoch und setzte sie auf den Tisch. »Du und ich müssen uns mal kurz unterhalten, mein Mündel. Wenn ich jetzt mal ganz absehe von deinem unentschuldbaren Verhalten im Zusammenhang mit... mit wie immer er jetzt heißen mag« - er ballte die Fäuste in der Luft -»Petrarka ... Ich habe dir zwei Anweisungen gegeben heute nacht, und beide hast du mißachtet.«
»Aber du hattest Rosinante vergessen«, protestierte Chloe. »Ich mußte sie doch holen gehen.« Ihre Position auf dem Tisch zwang sie, ihren Vormund direkt anzusehen. Und das war keine leichte Übung. Hugo war schmutzig und erschöpft wie sie, aber sein Blick war bedrohlich ernst, und sein Unterkiefer wirkte hart und kompromißlos.
»Das mußtest du nicht«, sagte er betont. »Ich hatte dir gerade verboten, in die Nähe des Feuers zu gehen, und du hattest nicht die leiseste Absicht, mein Verbot ernstzunehmen. Glaubst du, ich sage solche Dinge nur als sportliche Übung für meine Stimmbänder?«
»Ich konnte an nichts als die Pferde denken. Und du hattest Rosinante wirklich vergessen.« Als sie sah, daß ihm im Augenblick nicht die richtige Antwort einfiel, sprach sie hastig weiter: »Und es war nicht nötig, hineinzugehen, als du Rosinante erschossen hast. So ein Jammerlappen bin ich nicht. Und mit der armen Seele ist sicher selten jemand wohlmeinender gewesen.« Sie schniefte und wischte sich die Augen mit ihren schmutzigen Ärmel ab. Der Spitzenrand war zerrissen und ribbelte auf, und sie begann, daran zu zupfen. Das gab ihr die Möglichkeit, den Blick zu senken und seinem scharfen Auge auszuweichen.
Hugo legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht. »In zehn Jahren auf hoher See«, sagte er bestimmt, »hat nie, niemals jemand meinem Befehl zuwidergehandelt.«
»Wir haben zuviel Wert darauf gelegt, mit heiler Haut davonzukommen«, bemerkte Samuel und schüttete Tee in einen Topf. »Bei der Marine geht es ganz schön hart zu.«
Chloe kam plötzlich der Gedanke, Samuel könnte womöglich auf ihrer Seite sein. »Aber wir sind hier ja nicht bei der Marine«, stellte sie fest.
»Nein, und dafür solltest du deinem Schicksal sehr dankbar sein.« Hugo hob sie vom Tisch. »Unter den gegebenen Umständen lasse ich dich diesmal so davonkommen, aber es wäre ein großer Fehler, das als Präzedenzfall zu betrachten.«
Der Sturm schien vorüber. Chloe wechselte energisch das Thema und sagte mit der gleichen Entschlossenheit wie vorher: »Ich würde am liebsten ein Messer in Jasper bohren.«
»Das hast du schon gesagt.« Hugo sank mit einem erschöpften Ächzen in einen Stuhl. »Wie kommst du darauf, dein Bruder
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