Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
lassen.«
Sie hört Papier rascheln. Jim rächt sich an Druckerzeugnissen, die ihn geärgert haben, immer, indem er sie zusammenknüllt und in den Abfalleimer wirft. Sie starrt aus dem Fenster und stellt fest, dass der verdammte Russische Wein, den ihre Nachbarn vor drei Jahren angepflanzt haben, aus einem Loch in den Grundmauern ihres Schuppens sprießt. So ein Mist, denkt sie. Auf die eine oder andere Art kämpft man im Leben stets und ständig gegen die Natur an– wie in einer Tretmühle.
» Ich glaube, ich gebe das Zeitunglesen ganz dran«, verkündet er. » Es kommt einem so… überflüssig vor. Die denken sich einfach immer nur etwas aus. Sie wissen nicht das Geringste, und bis sich das ändert, dichten sie dieser Frau kurz entschlossen an, eine Verbrecherin zu sein. Das machen sie ständig. Die können einfach nicht zugeben, dass sie genauso wenig wissen wie wir alle.«
» Immer mit der Ruhe«, meint Kirsty. » Wenn jeder aufhörte, Zeitungen zu lesen, womit soll ich dann meine Brötchen verdienen?«
Keine Zeitung ist imstande gewesen, viel über den mutmaßlichen Würger herauszubekommen. Vielleicht gerade mal eine Seite gibt es über ihn, aber im Sommerloch ist eine Seite nicht genug. Der Fotograf des Mirror hat Amber Gordon die gesamte Strecke bis Funnland verfolgt und anschließend bis zu der unscheinbaren ehemaligen Sozialimmobilie, in der sie wohnt. Es gibt eine Aufnahme von ihr, auf der sie zwei dieser bissigen kleinen Kläffer ausführt, die Leute wie Liza Minelli gewöhnlich unterm Arm haben. Das Haus ist eindeutig vernachlässigt, eins der Fenster ist mit einem Holzbrett vernagelt, und die Blumenbeete sind zertrampelt und matschig. Deborah liest die ellenlange Bildunterschrift unter den Fotos und wundert sich.
Die Freundin des Strandwürgers, Amber Gordon, führt ihre Hunde Gassi, als wäre es ein ganz normaler Tag. Gordon, Vorgesetzte einer Putzbrigade, weigerte sich, mit einem Reporter des Mirror zu sprechen, als er sie zur Rede stellte, nachdem sie ihrem Liebhaber, der derzeit im Polizeirevier von Whitmouth verhört wird, eine Tasche mit Süßigkeiten und anderen Annehmlichkeiten vorbeigebracht hatte. Zurück bei ihrem ungepflegten Haus in einem Außenbezirk der Stadt, beschimpfte sie die Fotografen. » Lasst mich in Ruhe!«, sagte sie, als wir versuchten, sie nach den Verbrechen ihres Lebenspartners zu befragen. » Ich habe nichts getan!«
Der Werdegang eines Mörders, Seite 13
Die Frau auf dem Foto mit der Treppenstufe schreit ganz eindeutig. Ungefähr mein Alter, denkt Deborah. Vielleicht einen Tick jünger. Wie es sich wohl anfühlt, sie zu sein? Wusste sie es? Sie muss es gewusst haben. Man kann doch nicht mit jemand zusammenleben und so etwas nicht wissen.
Sie blättert weiter zum » Werdegang eines Mörders« und beginnt zu lesen.
Martin schaut die Straße hoch, während er die Sender auf der Suche nach Radio2 durchrattert. Bisschen Klassik-Pop, das brauch ich jetzt. Klassik-Pop für die mustergültigen Vororte.
Er ist überrascht, was für eine Straße sie sich zum Wohnen ausgesucht hat. Er hatte sich etwas Moderneres, Minimalistischeres vorgestellt, so etwas, das all diese Wohn- und Architekturzeitschriften gut finden. Ein umgebautes Fabrikgebäude zum Beispiel, mit freigelegtem Mauerwerk und schlichtem weißem Verputz, oder etwas mit Wänden aus Glas. Was er nicht erwartet hatte, war ein gewöhnliches Reihenhaus in einem mittelgroßen Garten voller Clematis und Betondelfine. Eine Abfolge nahezu identischer Doppelhaushälften aus den 1930ern, mutige kleine Verschönerungsmaßnahmen und Anbauten– eine Garage, ein gepflasterter Wendekreis, eine Pergola, eine Veranda– als Nachweis und Beleg für die Individualität ihrer Besitzer. Wenn sie in einem von denen wohnt, hat sie wahrscheinlich Familie. Zwei Mädchen, die Jacintha oder Phoebe heißen. Und einen Weimaraner.
Aus einer der Einfahrten kommt würdevoll eine Burmesische Katze anstolziert und setzt sich aufs Trottoir, um ihr Territorium zu überblicken. Na klar, denkt Martin. Typisch. Sie wird eine dieser kahlen Sphinxen haben oder einen Dalmatiner. Irgendetwas, was Bescheuertes und Nutzloses, nur modisch muss es sein.
Er wirft einen Blick in den Rückspiegel und sieht, wie hinter ihm Kirsty Lindsay aus einem Haus kommt. Sie geht auf den staubigen kleinen Renault zu, der in der Einfahrt steht, und schließt die Tür auf. Sie wirkt sorglos, arglos, in Gedanken versunken. Martin rutscht tiefer in seinen Sitz, obwohl
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