Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
das MI 5 und Andy McNab, und jedes Mal, wenn jemand um die Ecke biegt, schießt Adrenalin durch seine Adern. Er wird diese Häuser noch ein Weilchen beobachten müssen, um sein Zielobjekt zu finden, aber er hat keine Eile. Er hat zunächst mit der Postleitzahl begonnen, indem er– eine erstaunlich simple Maßnahme– bei der Tribune anrief und nach Minty in der Nachrichtenredaktion fragte (den Namen kennt er von seiner Lauschaktion im Park). Er gab sich als PR -Agent mit Warenpröbchen, aber einer nur unvollständigen Adresse aus. Dass er wusste, dass sie in Farnham wohnt, schien dem Mädchen am Telefon zu genügen.
Er verputzt den Rest seines Eis und streicht die Zeitungsseite glatt.
Deborah sieht auf Leute, die die Sun lesen, mit der selbstgerechten Verachtung eines Menschen herab, der sich der Linken zugehörig fühlt. Sie weiß es zwar nicht, aber der Mirror hat Whitmouth ebenso viel Platz eingeräumt wie sein Boulevardrivale und auch auf gleiche Weise. Mutmaßungen, rückblickende Lebensweisheiten von Nachbarn (dieselben wichtigtuerischen Leute, über die man auch in der Sun liest, nur das ist ihr nicht klar) und ein verschwindend geringer Anteil an Daten und Fakten, die sich über unbekannte Personen wie den Strandwürger und seine Xanthippe von Freundin ausbuddeln lassen. Denn das Land liebt nur eines noch mehr als einen abgefahrenen Serienmörder, und das ist die Frau eines Serienmörders. Deborah nimmt an, dass politisch rechts stehende Menschen angesichts der vagen, aufgebauschten Details nur noch stirnrunzelnd durch die Gegend wandern, und beißt in einen Doppelkeks mit Vanillefüllung.
Ihre Zeitung bringt fast das gleiche Foto wie jenes, das die Titelseite der Sun ziert: strähniges, strohblondes Haar, dunkle Brille und ein geschmackloses Grinsen. Auf dem vor ihr hat sie allerdings halb die Hand gehoben, um ihr Gesicht zu verdecken, weshalb es so aussieht, als winke sie. Für wen hält die sich eigentlich?, denkt Deborah und isst ihren Keks auf. Für Sharon Osbourne?
Merkwürdig. Sie kommt mir bekannt vor. Kenne ich sie nicht irgendwoher? Nicht von einem Foto, obwohl ihr Bild in den letzten paar Tagen weiß Gott sämtliche Zeitungen verunziert hat, sondern als hätte ich sie im wirklichen Leben einmal gesehen. Da ist irgendetwas an ihrer Haltung, an ihrer Nase und der Kieferpartie, und dann noch dieses widerliche riesige Muttermal im Gesicht. Hab ich sie schon einmal gesehen? Kommt mir ganz so vor. Aber wo? Bestimmt nicht in Whitmouth. Geistesabwesend nimmt sie noch einen Keks aus der Packung und tunkt ihn in ihren Tee.
Jetzt weiß ich, was es ist, denkt sie. Dieses eklige Muttermal. Ich kann mir nicht helfen, wenn ich bei einer Frau so ein Muttermal sehe, habe ich auf der Stelle eine Abneigung gegen sie. Wegen Annabel Oldacre. Bei jeder mit so einem Muttermal stelle ich mir vor, sie wäre eine verkappte Mörderin. Ich weiß noch, wie ich während des Prozesses stundenlang auf dieses Muttermal gestarrt und zugesehen habe, wie dieses Miststück, das meine kleine Schwester umgebracht hat, ihre Strafe kriegte. Das ist offenbar haften geblieben– alles, was ich empfunden habe, hat sich auf diesen einen Schönheitsfehler im Gesicht konzentriert.
Aber das Mal ist wirklich unheimlich ähnlich, überlegt sie, und saugt den Tee aus ihrem durchweichten Keks. Es befindet sich sogar an derselben Stelle wie bei ihr.
Martin blättert zur Titelseite zurück. Auch dort ist alles voll mit Gordon. Er beißt sich auf die Lippe, als er sie anschaut, dieses Grinsen, mit dem sie die Straße langläuft, als ginge sie zu einer Party. Dass er selbst dabei war, als die Aufnahmen entstanden, hat er vollkommen ausgeblendet. Ich schätze, ihr gefällt die Aufmerksamkeit, denkt er. Sie hat ihre fünfzehn Minuten Ruhm gekriegt und das Beste draus gemacht. Aber sie ist nicht wie Kirsty. Zumindest hat sie ihr Leben nicht der Verbreitung von Lügen verschrieben und sorgt auch nicht dafür, dass diese Lügen den Weg in jedes Haus finden.
Jim ruft an, um sich von seiner Nervosität vor dem Treffen mit Lionel Baker abzulenken. Er hat die Zeitungen im Zug gelesen, und Kirsty kann ihn förmlich den Kopf schütteln hören, als er sich über die Berichterstattung zum Thema Whitmouth mokiert. » Die arme Frau«, sagt er. » Die kreuzigen sie.«
» Ich weiß«, erwidert sie. » Furchtbar.«
» Du scheinst die Einzige zu sein, die wenigstens halbwegs fair geblieben ist.«
» Ja. Gott allein weiß, wieso sie mir das haben durchgehen
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