Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
umeinander scheren, fühlt sie sich sicher. Schon als sie herkam, hatte sie das Gefühl, hier Wurzeln schlagen zu können, und jedes Mal, wenn sie merkt, dass ihr das tatsächlich gelungen ist, ist sie freudig überrascht.
» Und wie geht’s dir, Amber?«, will Jackie mit zuckersüßer Stimme wissen, die vor ungewohnter Anteilnahme trieft. » Alles im grünen Bereich?«
Weißt du was? denkt Amber. Mir geht’s scheiße, vielen herzlichen Dank. Ich habe vor sechsunddreißig Stunden eine ermordete Frau gefunden, die ich immer noch vor mir sehe, wenn ich versuche einzuschlafen. » Ich glaube, du bist mir als schroffe Zicke lieber«, sagt sie. » Das ist wenigstens ehrlich.«
Jackie stößt ein gackerndes Lachen aus.
» Es stimmt aber«, sagt Blessed, die auf einem eigens mitgebrachten Kissen sitzt und an einem Pullover strickt, der ihren kostbaren Sohn vor den bitterkalten Winterwinden schützen soll. » Es gehört sich nicht wirklich, oder? Dass wir aus einer Situation wie dieser unseren Vorteil ziehen.«
» Ach, Blessed«, sagt Jackie. » Was hätten wir denn machen sollen? Keiner von uns hat das Mädchen umgebracht, und keiner von uns hat sie gekannt. Es ist doch nicht unsere Schuld, dass man uns verboten hat, zur Arbeit zu gehen.«
Blessed nimmt einen Schluck von ihrem Ingwerbier. Greift nach der Zange und stochert damit in der Holzkohle auf dem Grill herum. » Ich glaube, es ist so weit«, verkündet sie. » Nein, ich weiß schon, was du meinst, Jackie. Aber eine Party– ist das eine angemessene Reaktion?«
Maria Murphy schmiert sich mit Sonnencreme ein, als wären sie an der Costa Brava, und beobachtet ihre Jungs, die auf dem Kies herumtoben. » Das ist doch keine richtige Party, Blessed. Wir nutzen den Strand doch einfach bloß, um uns ein bisschen Abwechslung zu verschaffen, genau wie alle, die hier leben. Es ist ja nicht so, dass es jemand geplant hätte. O Gott, gleich landet der Ball im Meer, das schwör ich euch.«
Sie folgen ihrem Blick. Die Männer der Siedlung spielen, sechs gegen sechs, sich balgend und unter Gelächter Fußball, schlittern über den Kies und benutzen die Molen als Tore. Funnlands Rückgrat tobt in seiner unerwarteten Freizeit herum wie Schuljungen an einem sonnigen Wintertag im Schnee. Es war ursprünglich Jackies Idee, auch wenn Vic es gewesen ist, der Amber davon erzählt und sie überzeugt hat, dass es das Mädchen auch nicht wieder zurückbringt, wenn sie sich im Haus einschließt, genauso wenig, wie es ihre eigene Rolle in der ganzen Sache verändern würde. Und sie ist froh, dass er es getan hat. Er hat natürlich recht. Nichts wird ungeschehen machen, was sie gesehen hat, aber das Leben muss weitergehen. In der letzten Zeit hat sie die Freundschaft zu ihren Kollegen nicht genug pflegen können, und es kommt ihr manchmal so vor, als hätte sich eine gläserne Barriere zwischen sie geschoben, seit sie ihre Leitungsfunktion übernommen hat.
» Es stimmt«, sagt Amber. » Daheim zu bleiben ändert schließlich auch nichts mehr, oder? Und heulend in einem abgedunkelten Zimmer zu liegen macht auch nicht ungeschehen, dass ich sie gefunden habe.«
» Das ist die richtige Einstellung«, sagt Maria. » Manchmal hätte ich auch gern was von dem Zeug, das du einschmeißt.«
» Ich bin halt ein kleiner Sonnenschein«, sagt Amber und strahlt.
Maria setzt sich abrupt auf und funkelt ihren ältesten Sohn an. » Jordan!«, schreit sie. » Wenn dieser Ball ins Wasser fällt, gehst du höchstpersönlich rein und holst ihn!«
Jordan Murphy wirft einen Blick über die Schulter, in dem die gesamte Frechheit eines Vierzehnjährigen liegt. Seine Brüder– alle mit gleichem Haarschnitt und einem Strass-Stein im rechten Ohr– tollen im Kampf um die Vorherrschaft über den alten Reifenschlauch eines Sattelschleppers mit anderen Jungs aus der Siedlung im Meer herum.
Jackie kneift die Augen zusammen. » Ha! Wer hat schon Lust auf den Anblick so eines schmächtigen Kerlchens? Da wart ich doch lieber auf Moses oder Vic. Ehrlich«– sie trinkt ihre Dose aus und wirft sie achtlos auf den Kies– » wenn ich wüsste, dass Vic dafür sein Oberteil auszieht, würde ich den Ball selber reinkicken.«
» Immer langsam«, sagt Amber.
» Ach, komm«, sagt Blessed. » Sogar ich würde es genießen, deinen Mann ins Meer springen zu sehen. Du musst zugeben, dass er ziemlich attraktiv ist.«
Amber lacht unbehaglich. Sie weiß, dass derlei Bemerkungen harmlos sind, aber immer wenn jemand auf Vics gutes
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