Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
gut«, antwortet Blessed. » Er gehört zu den Besten in seiner Klasse«, fügt sie stolz hinzu.
» Das ist schön. Er ist intelligent.«
» Eines Tages wird er Arzt«, erklärt Blessed bestimmt.
» Da bin ich sicher.«
» Und er kennt sich gut mit Computern aus.«
» Ja?« Sie ist nicht überrascht. Benedick ist genau die Sorte Einzelkind, von dem man annimmt, dass es seine Freizeit drinnen verbringt. » Er liebt das Internet, oder?«
» Ja«, sagt Blessed. » Nur gut, dass wir zu Hause keins haben, sonst bekäme ich ihn nie zu Gesicht.«
» Ihr habt kein Internet? Ich dachte, das würden sie heutzutage alle für die Hausaufgaben benutzen.«
» Er geht dafür in die Bibliothek. Die haben Computer.«
» Und ihr habt keinen?«
Blessed schüttelt den Kopf. » Er hatte mal einen, aber irgendwas, das sich Motherboard nennt, ist kaputtgegangen, hat er gesagt. Jedenfalls ließ es sich nicht reparieren, und die Garantie war seit einer Woche abgelaufen.«
» O Blessed«, sagt Amber. » Was für ein Mist.«
» Ich spare für einen neuen«, sagt Blessed. » Vielleicht zu Weihnachten. Die Dinger sind so teuer.«
» Mensch!«, sagt Amber. » Das wusste ich nicht. Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
Blessed zuckt die Achseln. Greift wieder nach ihrem Strickzeug.
» Na, das hält ihn wenigstens von den Pornoseiten fern«, sagt Maria. » Mein Jordan sitzt ständig davor und holt sich einen runter. Abends gehe ich nicht mehr in sein Zimmer, aus Angst vor dem, was ich dort vorfinden könnte.«
Hinter ihr weicht Jason Murphy dem Ball aus, der aufs Tor zufliegt. Es ist ein wilder, harter Schuss. Die Frauen sehen ihm hinterher, wie er hoch und weit über den Strand fliegt und auf dem Wasser aufschlägt.
» Aaah«, sagt Jackie und öffnet eine neue Dose. » Die Vorstellung beginnt.«
KAPITEL 8
Kirsty sieht zu dem rostigen Geflecht aus Streben und Pfeilern hinauf, die den Personensteg stützen, der vom Drehkreuz am Küstenrand bis ans Ende des Piers führt. Es ist dunkel hier, feucht und muffig– nicht nur vom fischig-salzigen Geruch des faulenden Seetangs, sondern auch vom Mief der über Generationen hier verrichteten dringenden Geschäfte, weggeworfenen Picknickreste und des ausgelaufenen Irgendwas, das sich unterhalb der Felsen sammelt.
Dies ist nicht die hübscheste Stadt, in der sie je gewesen ist. Aber wenn man bedenkt, was sie hierhergebracht hat, ist sie gar nicht schlecht. Ihre Aufgabe besteht darin, fünfzehnhundert Worte für die Sonntagsbeilage zu schreiben, die dafür sorgen sollen, dass die Leser sich besser fühlen. Das bedeutet, über die Fahrgeschäfte, das Eis und die fröhlichen aufblasbaren Gummitiere ebenso hinwegzugehen wie über das exquisite Vergnügen von Pommes, die man heiß und salzig direkt aus der Tüte bei einer steifen Meeresbrise isst, und den freudigen Schock von Kanalwasser auf nackter Haut; stattdessen wird sie die meilenlangen, grauen Nachkriegsfertighäuser beschreiben, die vollgeschmiert rund um die Flussmündung zurückgesetzt im Marschland stehen, die bröckelnden künstlichen Fassaden der Imbissläden, das gestresste Leben einer größtenteils aus Saisonkräften bestehenden Bevölkerung, deren Beschäftigungsaussichten jahreszeitlich bedingt sind, und die georgianischen Fassaden herausstreichen, die zwischen all dem Plastik und Neon hervorlugen. Damit Balham, der inzwischen gesellschaftsfähige Londoner Stadtteil mit dem ehemaligen Schmuddelimage, im Vergleich geradezu wohltuend wirkt. Keine Stadt, in der ein Mörder frei herumläuft, kann eine wirklich nette Stadt sein: Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Wenn solche Dinge in netten Städten passierten– in denen Leute Sonntagszeitungen kaufen und lesen–, wer wäre dann noch sicher?
Aber sie kann nicht anders, sie mag die Stadt. Trotz der heruntergekommenen, schlecht bestückten Läden. Trotz der Blässe der Menschen, die vom Leben am Meer eigentlich gebräunt sein sollten, und trotz der Tatsache, dass es auf der Corniche nicht eine Farbe gibt, die auch in der Natur vorkommt. Trotz der Tränen in den Gesichtern von Hannah Hardys verkaterten Freundinnen, als sie entdeckten, dass diese gestern Abend nicht zu ihrem Wohnwagenstellplatz zurückgekehrt war. Und trotz des Umstands, dass hier jeder, der über fünfzehn ist, aussieht wie fast vierzig, besitzt Whitmouth eine kitschige, lebenssprühende Unerschrockenheit, die sie überraschend charmant findet. Ein Teil von ihr fühlt sich, ungeachtet der deprimierenden
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