Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
Hause aus arbeitet«, beeilt er sich hinzuzufügen. » Jeden Tag zwei Stunden Arbeitsweg gespart.«
» Und komplett in Kochen angelegt«, witzelt Kirsty versuchsweise.
» Jedenfalls immer noch besser, als sich ins Koma zu saufen, oder?«, sagt Jim gehässig.
Alle lachen, die spitze Bemerkung schwebt im Raum. » Sie Glückspilz«, sagt Lionel Baker mit exakt dem gleichen Tonfall wie seine Frau. » Ich lechze natürlich nach mehr Zeit daheim. Aber sagen Sie–« Er wendet sich an Kirsty, und sie kann spüren, dass seine Nachfrage nicht von Wohlwollen geprägt ist. Lionel ist ein Dinosaurier. Arbeitende Frauen sind nicht sein Fall. » Sie waren unterwegs, arbeiten? Wie großartig. Sie müssen bestimmt eine Menge reisen, wie?«
» Nicht direkt reisen«, erwidert sie und überlegt, wie sie den Job, der sie alle über Wasser hält, so darstellen kann, dass er wie ein Hobby wirkt, das der gutmütige Ehemann seinem kleinen Frauchen gönnt. » Nur hie und da ein paar Übernachtungen, wissen Sie.«
Sie vermutet, dass er sie für eine Vertreterin hält; was ihr egal wäre, aber Verkaufen ist vermutlich nicht gerade der beste Job für eine Gattin. Jim interveniert. » Kirsty arbeitet als Freie«, sagt er. » Für die Tribune.«
» Was ist denn eine Freie?«, fragt Penny Lucas-Jones. Sie unterrichtet Französisch und Englisch an einem Mädcheninternat außerhalb von Salisbury. Das lässt sich gut mit der Kinderbetreuung vereinbaren.
» Eine Journalistin«, erklärt ihr Jim. » Sie ist für den Südosten zuständig, damit die festangestellten Redakteure in London bleiben können.«
» Ein Schreiberling!«, sagt Lionel. » Nun ja, schön! Promis in ihrem Domizil interviewen, wie?«
» Nein«, sagt Jim. » Für solche Sachen haben sie Spezialisten.«
» Meistens Strafsachen«, sagt Kirsty. » Und– Londoner, die in der Provinz Urlaub machen, wissen Sie.«
Der Witz kommt nicht an. Er hat mich wörtlich genommen, denkt sie. Natürlich. Ihn aus Belgravia rauszukriegen war in etwa wie Hühnern Zähne ziehen, und jetzt hab ich’s vermasselt. Sie spürt eine weitere Welle von Übelkeit in sich aufsteigen und schluckt schwer. Ich wette, ich bin total grün im Gesicht, denkt sie. Was immerhin das Gelb vom Leberschaden kaschiert.
» Wie aufregend!«, sagt Gerard Lucas-Jones. » Witzigerweise lesen wir die Tribune. Das heißt, Penny tut es. Ich bin mehr der Financial-Times -Typ.«
» Ich hab Sie da noch nie wahrgenommen. Erscheint oft was von Ihnen?«
» Diese Woche hat sie sogar zwei Artikel drin«, sagt Jim. » Heute eine ganze Seite und am Sonntag zwei.«
» Tüchtiges Mädchen!«, sagt Lionel und zieht das » ä« so in die Länge, dass es zwei Sekunden andauert.
Sue hat den Anstand, leicht betreten auszusehen. » Worüber denn?«
» Ach, über diesen einigermaßen vertrottelten Haufen von Spinnern, der diese Woche seine Gründungsveranstaltung hatte und zur moralischen Aufrüstung aufruft. War aber ein ziemlicher Reinfall, um ehrlich zu sein. Der andere Artikel ist über Whitmouth. Die Morde dort. Da sitz ich noch dran.«
» Ah, ja«, sagt Lionel. » Prostituierte, nicht wahr?«
Nicht streiten, denkt sie. Hier geht’s um Jims Karriere. Und offen gestanden habe ich keine Spucke mehr dafür. Gestern Abend bin ich fast meine gesamte Galle losgeworden. » Nein«, erwidert sie, » einfach nur Mädchen in den Ferien. Teenager, die sich amüsieren wollten, verstehen Sie?«
Ihr kommt das Bild von Nicole Ponsonbys Schwester in den Sinn, die auf der Treppe des Polizeireviers von Whitmouth vor einer Reihe Mikrofone steht und weint. Fleht, dass irgendwo irgendwer den Mörder anzeigt. Die Familien glauben immer, der Schmerz werde verschwinden, sobald der Mörder gefasst ist; dass sie zu einer Art Abschluss kommen. Wie ertrinkende Seeleute greifen sie nach jedem Strohhalm, nach allem, was suggeriert, dass sie sich nicht ein Leben lang so fühlen müssen wie in diesem Augenblick. Kirsty hat schon so oft erlebt, wie sie um Worte ringen und einander stützen, weil ihnen die Knie zittern. Und weiß, dass das Weinen niemals aufhört, nicht wirklich.
» Ist ein kleines Drecksnest, dieses Whitmouth, oder?«, fragt Lionel und stopft sich in einem Rutsch die Hälfte seiner Vorspeise in den Mund.
» Möglich. Hängt ganz davon ab, was man mag. Ich finde, es hat– ich weiß nicht, einen schäbigen Charme.«
» Ich war mal in Southend«, sagt er. » Irgendwer hatte die Idee zu so einem paradoxen Junggesellenwochenende. Und das ist ein
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