Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
Schwitzen abklingt. Sie fühlt sich jetzt schwach und müde, aber das Schwindelgefühl lässt nach. Mein Gott, bin ich eine miserable Ehefrau, denkt sie wieder. Und er hat recht. Ich muss mit der Trinkerei aufhören. Das ist eine wirklich kindische Methode, mit Stress fertig zu werden.
Sie steht auf und kontrolliert ihr Gesicht im Spiegel. Das Augen-Make-up ist leicht verschmiert, aber sie gewinnt schnell wieder an Farbe. Sie spült sich den Mund mit dem Mundwasser aus, das hinter dem Vorhang steht, und versprüht Freesienduft-Spray. Legt frischen Lippenstift auf, presst schmatzend die Lippen aufeinander. Okay, denkt sie. Schon besser so. Ich kann der Welt gegenübertreten.
Sie kehrt in die Küche zurück und findet sie leer vor; die Platte mit dem Schweinefilet ist von der Arbeitsfläche verschwunden, das angerichtete Gemüse steht noch da. Sie nimmt es und geht damit, strahlend lächelnd, ins Esszimmer hinaus.
» Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Kirsty«, sagt Penny, sobald jedem serviert ist und alle sitzen. » Ich habe mich jedenfalls gefragt, ob ich Sie um einen Gefallen bitten kann.«
» Schießen Sie los«, sagt Kirsty. Gefallen ihrerseits müssten im Gegenzug Jim in Poleposition bringen. » Was kann ich für Sie tun?«
» Nun, wir wünschen uns, dass Leute in der Schule über ihren Beruf sprechen. Was meinen Sie? Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann einmal vorbeizukommen und etwas über Journalismus zu erzählen?«
» Ich…«, sagt sie zweifelnd. Auf Podien, vor Menschenansammlungen ist ihr immer unbehaglich.
» Ich weiß, Sie sind sehr beschäftigt«, sagt Penny. » Aber wir würden Ihnen lange im Voraus Bescheid geben. Heutzutage erfordert alles jede Menge Zeit, denn es dauert Monate, bis die vom CRB mit ihrer Überprüfung des Führungszeugnisses durch sind.«
Sie errötet augenblicklich und fängt an zu stammeln. Sie hat einen lebenslänglichen Eintrag. Aus dem Auskunftsformular würde zwar nicht hervorgehen, wer sie ist, aber die Vorstrafe würde sie nicht mehr verheimlichen können. Und Jim weiß nichts. Weder über ihre Vergangenheit noch über die Wahrheit ihrer Gegenwart.
Penny lächelt. » Ich weiß. Es ist natürlich lächerlich. Viele Menschen fühlen sich davon beleidigt, aber ehrlich, es handelt sich um nichts weiter als ein weiteres bürokratisches Formular.«
» Noch so eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme«, sagt Jim.
Lionel trinkt etwas. » Das ist genau das, wovon ich spreche«, sagt er. » Heutzutage ist alles auf den Kopf gestellt. Die Regierung vergeudet Millionen unserer Steuergelder, um festzustellen, dass unschuldige Menschen wie Sie verdächtig sind, wo wir doch alle wissen, wo das Problem in Wirklichkeit liegt.«
» Also in Wirklichkeit können Sie das nicht genau wissen«, witzelt Jim. » Meine Frau könnte ja eine kriminelle Vergangenheit haben.«
Lionel bedenkt ihn mit einem geduldigen Blick bar jeden Humors. » Ich sage lediglich«, bemerkt er bedächtig, » dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt.«
Kirsty beißt an. Ergreift die Gelegenheit, die Aufmerksamkeit vom Thema Schulbesuche abzulenken.
» Im Ernst? Und Sie finden, dass so eine Brut entsorgt werden muss?«
» Na ja, seien wir doch mal ehrlich«, sagt er. » Man kann ziemlich genau voraussagen, welche Kinder aus der Art schlagen werden. Man muss sich einfach nur die Eltern anschauen.«
» Toll«, sagt sie. » Ganz toll.«
» Ach, kommen Sie«, sagt er. » Das können Sie doch nicht bestreiten. Ich wette, auch am Schultor Ihrer Kinder herrscht Rassentrennung. Tun Sie doch nicht so, als sei das nicht so.«
» Ich…«, sagt sie.
» Das ist durchaus kein neues Phänomen. Ist schon seit Generationen so. Wo es eine fette Schlampe von Mutter gibt, die ihre Kinder bei McDonald’s durchfüttert und auf die Lehrerschaft schimpft, ist unter Garantie auch die fette Schlampe von Großmutter nicht weit, die Cider kippt und Krach mit der Nachbarschaft hat.«
» Donnerwetter!«, sagt Kirsty. Und erinnert sich an das gepflegte Cottage ihrer Großmutter mütterlicherseits: auf den Fensterbänken aufgereihte Tänzerinnen aus Keramik und nicht ein Staubkörnchen weit und breit. Vermutlich glaubt sie– glaubte? Kirsty hat keine Ahnung, welche ihrer Familienmitglieder noch leben–, dass das alles nur passiert ist, weil sich ihre Tochter mit einem Zigeuner eingelassen hat. Niemals hätte sie erkannt, dass es einen Zusammenhang zwischen ihrer respektablen kirchentreuen Strenge und den ungewaschenen,
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