Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
Hand sah.
» Na schön«, meint er. » Und wie heißt sie nun? Diese Tussi?«
Amber gerät in Panik. Den richtigen Namen kann sie nicht sagen; sie hat ihn in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren, zumindest laut, wahrscheinlich weniger oft benutzt als jedes andere Mitglied ihrer Generation, abgesehen von Jade selbst. Innerlich schlägt sie wild um sich, versucht, sich eine Alternative auszudenken, und stellt fest, dass jeder Mädchenname, den sie einmal gekannt hat, aus ihrem Kopf getilgt ist. » Jade«, sagt sie.
Hinter dem unverwandten Grinsen registriert sie ein Flackern. Irgendeine heftige Reaktion, jedoch unterdrückt, sodass sie sie nicht deuten kann. Der Name sagt ihm irgendetwas. Was, das weiß sie nicht.
» Tja, leider nicht fix genug, Amber. Hast viel zu lang gebraucht, dir das auszudenken.«
» Nein«, entgegnet sie. » Jade. Ich konnte mich bloß nicht an den Nachnamen erinnern. Sie hat einfach – nur in der gleichen Straße gewohnt, weißt du. Ich weiß gar nicht, ob ich ihn je wusste. Ich schwör’s dir, Vic, ich sage die Wahrheit.«
» Schön«, sagt Vic und greift sich das Telefon. » Da gibt’s nur eine Möglichkeit, das rauszufinden.«
Er wählt. In der Küche ist es still. Als der Klingelton einsetzt, lächelt Vic sie kühl an. Er stellt auf Lautsprecher und wartet, wobei er sie anstarrt wie ein geduckter Panther. Himmel, denkt sie, was mach ich hier eigentlich? Mag ich diesen Mann überhaupt? Manchmal kommt es mir so vor, dass ich ihn nicht mal kenne.
Am anderen Ende meldet sich eine Männerstimme. » Hallo?«
Vics Kopf zuckt leicht; eine winzige Bewegung von enormer Bedeutung. » Wer spricht da?«
» Jim«, antwortet der Mann.
» Jim«, wiederholt Vic und hebt zynisch eine Augenbraue in ihre Richtung.
» Wer ist da?«, fragt Jim.
» Vic«, erwidert Vic. » Entschuldigung, Jim, ich bin auf der Suche nach Jade.«
Der Mann am anderen Ende der Leitung klingt gelassen, ungezwungen, kein bisschen beunruhigt. Ihr Typ weiß also auch nichts, schießt Amber durch den Kopf. Ihr ganzes Leben ist genauso eine Lüge wie meins. » Tut mir leid, Kumpel. Da haben Sie sich wohl verwählt. Hier gibt’s keine Jade.«
» Oh«, sagt Vic. » Alles klar. Danke, Jim.« Er betont die Silbe Ambers wegen.
» Schon gut«, meint Jim und legt auf.
Vic legt das Telefon auf den Tisch. » Jim«, sagt er.
Sie lässt es zehn Minuten so liegen, dann folgt sie ihm nach oben. Er hat sich im Bad eingeschlossen, sie kann Wasser laufen hören. Sie klopft an die Tür und lauscht. Keine Antwort. » Vic?«, ruft sie zaghaft und hört, wie das Wasser stärker aufgedreht wird.
Im Schlafzimmer liegt ein Hemd auf dem Bett, eines seiner Ausgehhemden. Ihr wird schwer ums Herz. Das macht er immer, wenn er wütend ist. Nach der Arbeit ausgehen, ohne ein Wort zu sagen. Oft kommt er dann die ganze Nacht über nicht heim. Seit Tagen hat sie gespürt, wie sich diese Stimmung aufgebaut hat. Jackies Anwesenheit– ihre herumliegenden Handtücher, ihre ungespülten Teetassen, der überquellende Aschenbecher im Garten– hat ihn zunehmend genervt. Jetzt bereut sie, sie zum Bleiben aufgefordert zu haben. Hinzu kommt, dass sich Jackie als ichbezogen und egozentrisch entpuppt hat und außer sich selbst nicht viel wahrnimmt. Sie redet unablässig, jeder Gedanke, der ihr in den Sinn kommt, wird sofort ausgesprochen: Sie nennt Herkunft und Preis ihrer sämtlichen Erwerbungen, zählt laut Kalorien– ihre eigenen und die anderer Leute–, wiederholt bis ins kleinste Detail jede Kränkung, jeden Rüffel, jede Zurückweisung, die sie je erlitten hat.
Das benutzt er als Rechtfertigung, denkt sie. In Wirklichkeit verübelt er mir, dass ich ihm einen Gast aufgezwungen habe, ohne ihn vorher zu fragen, und jetzt zu schwach bin, sie zu bitten, wieder zu gehen. Aber so ein Thema aufs Tapet zu bringen hieße ja, dass wir tatsächlich miteinander reden müssten. Und Vic wird alles tun, um genau das zu vermeiden. Da entzieht er sich lieber.
Sie hört, wie die Badezimmertür sich öffnet, und dreht sich um, sieht ihn herauskommen, mit nacktem Oberkörper und Muskeln, die sich über der Jeans wölben. Er hat sich rasiert und die Haare mit Gel gestylt. Rubbelt sich den Nacken mit einem Handtuch. Einem sauberen, wie sie feststellt, das er sich extra aus dem Wäscheschrank genommen hat. Er schiebt sich an ihr vorbei und geht ins Schlafzimmer, wo er das Handtuch demonstrativ in eine Ecke wirft.
» Vic«, sagt sie.
Er ignoriert sie. Geht zum Bett und
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