Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
hab das mit ihr gemacht.
» Scheiße, hilf mir«, sagt sie und presst auch noch die andere Hand darauf. Ihr Blick ist flehend, aber sie begreift, dass es keine Hilfe geben wird. » Mein Gott, o mein Gott!«
Sie macht einen Schritt auf ihn zu, und er sieht, dass sie ins Taumeln gerät. Sie kann noch nicht verbluten, denkt er. Das muss Panik sein. Sie hat Angst. Genau. Diese verfluchte Ziege hat Angst. Und dafür hab ich gesorgt. Ich. Sie hat Angst wegen etwas, das ich gemacht habe.
» Du musst einen Krankenwagen rufen«, sagt sie. » Ich bin echt verletzt.«
Ihm ist überall kalt, aber sein Schwanz ist prächtig, ja triumphal hart. Gleichgültig zuckt er die Achseln. » Hab kein Handy«, erwidert er und geht davon.
KAPITEL 16
Sie hat nie verlernt, zu hoffen. Seit sie sich erinnern kann, ist Amber mit dem gleichen Gedanken aufgewacht: Heute wird ein guter Tag. Gelernt hat sie das im Haus ihres Stiefvaters und in Blackdown eisern daran festgehalten, hat kleine Marksteine des Glücks in ihrem Leben abgesteckt: die Hunde, Vic, ihr Haus und seine Modernisierung, Geburtstagspartys, kleine Freundschaftsgesten. Und sie weigert sich, sich mit den Negativen aufzuhalten.
Sie liegt auf dem Rücken, die Arme auf dem leeren Bett ausgebreitet, und starrt auf das Tageslicht, das durch die Vorhänge auf die Schlafzimmerdecke fällt. Allmählich kommen die Tagarbeiter nach Hause; auf dem Tennyson Way draußen hört sie Automotoren und Wagentüren und lautstarke Begrüßungen. Es ist heiß im Bett, das Zimmer muffig. Sie schleudert die Bettdecke von sich, liegt einfach da, um abzukühlen. Während sie geschlafen hat, ist offenbar die Sonne herausgekommen. Sie hat also einen weiteren Sommertag verpasst. Aber danke, danke, dass ich überhaupt Sommer bekomme. Alles wird gut, ich hab’s ganz sicher im Gespür. Ich mach mir viel zu viel Gedanken, das ist das Problem. Es kann nichts Schlimmes passieren, dafür hab ich es schon zu weit geschafft.
Amber steht auf, duscht und wäscht sich die Arbeit von gestern Nacht aus den Haaren. Das lauwarme Wasser macht sie ein bisschen wacher. Von unten kann sie leise Geräusche hören. Vic ist noch zu Hause, aber sie hört keine Stimmen und vermutet, dass Jackie ausgegangen ist.
Während sie ihr Haar trocken rubbelt, wirft sie einen prüfenden Blick auf die Uhr neben dem Bett. Siebzehn Uhr. Noch ein paar Stunden bis Arbeitsbeginn. Ausnahmsweise lohnt es sich mal, Hausklamotten anzuziehen. Sie wühlt im Kleiderschrank herum und entscheidet sich für ein buntes, mit Vögeln und Tropenblättern bedrucktes Sommerkleid. Sie lässt es über den Kopf gleiten und genießt das Vergnügen, sich wenigstens einmal hübsch anzuziehen. Dann geht sie nach unten, um ihren Lebensgefährten zu suchen.
Er sitzt am Küchentisch, sämtliche Fenster und die Hintertür stehen sperrangelweit offen. Vor ihm liegt ihre Handtasche. Er hält etwas in der Hand. Sie begrüßt ihn mit strahlendem Lächeln. Als Antwort sieht er sie lediglich schweigend an. Ambers Lächeln erstirbt. Der Tag verfinstert sich.
» Was ist?«, fragt sie.
Er macht die Hand auf und zeigt es ihr. » Und was hast du mir sonst noch vorgelogen?«, will er wissen. Seine Stimme ist kalt, tückisch. Sie erbleicht. Der andere Vic ist wieder da.
Er hält die Zigarettenschachtel fest, die Jade ihr gestern in die Hand gedrückt hat. Sie hat sie in ihre Handtasche gestopft und nicht mehr daran gedacht. Wie ein im Scheinwerferkegel gefangenes Kaninchen starrt sie sie an. » Nein, Vic, ich… Das sind nicht meine«, stammelt sie.
Er zieht die Augenbrauen hoch, dann kneift er sie zusammen, sodass seine Augen fast verschwunden sind. » Lügnerin!«, sagt er anklagend. » Hab ich’s dir nicht gesagt? Lüg mich nicht an. Ich hab’s dir gesagt, Amber. Ich komm dir immer auf die Schliche.«
» Vic…« Lügen sind sein absolutes Schreckgespenst, sein Lieblingshassobjekt. Immer wieder hat er es ihr erklärt: Lügen sei der schlimmste Verrat überhaupt. » Ich habe dich nicht belogen, Vic.«
» Was denn sonst?«, will er wissen. » Denkst du, ich bin blöd? Halt mich bloß nicht für dämlich, Amber.«
» Tu ich nicht. Ich…«
» Das ganze Haus stinkt nach Zigarettenrauch. Hast du gedacht, ich merk das nicht?«
» Das war Jackie. Komm, du weißt doch, dass sie raucht wie ein Schlot. Tut mir leid. Es hat geregnet, und ich hab sie in der Küche rauchen lassen.«
» Aha«, meint Vic. » Netter Versuch.«
» Nein«, sagt sie, wohl wissend, dass sie auf
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