Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
nicht«, sagt Bel.
» Allerdings! Ach du lieber Gott! Hast du!«
» Sie war neunzehn und hat einen Fehler gemacht.« Wie ein Papagei plappert Bel die Kurzversion ihrer Existenz nach.
» Und das andere Kind, deine Schwester. Ist die auch ein Bastard?«
» Halbschwester«, verbessert Bel. » Nein, die ist eine richtigeTochter .«
» Und dein Vater ist gar nicht dein Vater?«
» Natürlich nicht. Mein sogenannter richtiger Vater hat eine Bar in Thailand. Ich hab auch noch zwei uneheliche Halbschwestern, aber das scheint niemanden zu stören.«
» Hast du sie mal getroffen?«
» Du spinnst wohl. Nicht mal ihn . Lucinda nennt sie Nong und Pong.«
» Wer ist Lucinda?«
» Meine Mutter.«
» Boah!«, meint Jade. » Meine Mutter würde mich grün und blau schlagen, wenn ich versuchen würde, sie Lorraine zu nennen.«
» Und mich würde Lucinda umbringen, wenn ich Mama zu ihr sagen würde«, sagt Bel. » Sie sagt, dass sie sich dadurch älter fühlt.«
Die Teenager haben das Tor erreicht. Es sind sieben, allesamt ähnlich gekleidet. Sowohl die Mädchen als auch die Jungs tragen aufgedonnerte Frisuren und Eyeliner. Breite Rougestreifen laufen schräg über ihre Wangen, einige Köpfe zieren Stirnbänder, und Unmengen Abdeckstift überziehen die zerklüftete Hautoberfläche ihrer Gesichter. Die Jungs tragen altmodische Hemden, die sie in so enge Jeans gestopft haben, dass ihre künftige Zeugungsfähigkeit vermutlich gefährdet ist, und die Mädchen tragen, Madonna nachahmend, den gesamten Inhalt ihrer Kleiderschränke schichtweise übereinander. Ist eigentlich wie umgekehrtes Anziehen, denkt Bel. Erst das T-Shirt, dann das Unterhemd, dann der BH .
» Ach du Scheiße«, sagt Jade. » Darren.«
Interessiert schaut Bel auf. Sogar sie hat schon von Darren Walker gehört. Er ist sechzehn und so etwas wie eine lokale Berühmtheit. Allerdings nicht im guten Sinne. Seit Darren mit fünfzehn von der Chipping-Norton-Gesamtschule geflogen ist, sechs Monate bevor er sie ganz legal hätte verlassen können, pendelt er zwischen Gericht, Kriegerdenkmal und Spielplatz hin und her, lediglich mit, wie gemunkelt wird, einer gelegentlichen Unterbrechung für einen kleinen Einbruch in den umliegenden Ortschaften, um seine Kippen und den Cider zu finanzieren. Hier im Dorf ist er so etwas wie ein Bandenchef. Außerdem hat er auf rätselhafte Weise das große genetische Los gezogen: Seine Attraktivität lässt ihn ebenso stark wie schweigsam erscheinen, was wiederum zu entsprechenden regelmäßigen Zickenkriegen auf den Toiletten des Gemeindezentrums führt. Auch wenn seine Familie, was Geruch und Ungeziefer angeht, einen schlechten Ruf hat, hat Darren die Hälfte der Mädchen seiner Klassenstufe gehabt sowie die Hälfte derjenigen aus der Stufe über ihm.
Begierig nimmt Bel den Adam-Ant-artigen Körperbau in sich auf, den Wuschelkopf mit dem feinen, walnussfarbenen Haar, den langen, schlanken, straffen Körper, und fragt sich, wie dieses göttliche Wesen mit diesem mopsgesichtigen Mädchen neben ihr verwandt sein kann. Als eine, die nie viel Glück an der Beliebtheitsfront hatte, hat Bel Jade innerlich schon als mögliche beste Freundin eingereiht. Trotzdem muss sie zugeben, dass dieses Mädchen aussieht, als bestünde sie aus Speck. Darren hat den Arm locker um die Schultern von Debbie Francis gelegt, die seinerzeit einen Köpper auf die Wippe gemacht hat, und Bel wird bei diesem Anblick von einer Woge der Eifersucht erfasst. Dann grinst er höhnisch, und ihre vorübergehende Illusion fällt in sich zusammen.
» Runter da«, sagt er.
Jade packt die Kette der Schaukel und funkelt ihn wütend an. » Hau ab, Darren.«
» Oh-oh!«, machen die Gefolgsleute.
» Wir haben Chloe zum Schaukeln hergebracht«, sagt Debbie.
Jade zuckt die Achseln. » Es gibt jede Menge Schaukeln hier.«
» Schon«, meint Darren, als gehöre ihm das alles, » aber wir wollen die hier.«
Als bemerke er sie jetzt erst, nimmt er Bel zur Kenntnis. Richtet seinen honigsüßen Blick auf sie und mustert sie von oben bis unten. Sie errötet wütend und starrt steif auf die Kirchturmspitze in der Ferne. » Wer ist denn deine Freundin?«
» Geht dich gar nichts an, Darren Walker!«, schreit Jade.
» Ich weiß, wer das ist.« Ein Junge mit George-Michael-Piratenohrringen tritt vor und starrt sie mit verschränkten Armen an. Er lässt sich einen dürftigen, zarten Bart wachsen, und Bel erkennt Tony Dolland, der Sohn des Tankstellenbesitzers. Ihr Stiefvater ist seit
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