Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
belästigen.«
Unvermittelt steigen Martin die Tränen in die Augen. Er wendet sich ab und wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Das ist nicht fair. Immerzu verbünden sich alle gegen ihn, stellen ihm eine Falle, bescheißen ihn. Das ist diese Stadt. Diese Leute hier. Die sind doch alle– krank. Verschwören sich, um ihn auszuschließen und klein zu machen, weigern sich anzuerkennen, dass er jemand ist. Und sie war die ganze Zeit auch nicht anders.
Er wendet sich nach Kirsty Lindsay um und schreit sie in ohnmächtigem Zorn an. Sie ist einen Schritt zurückgetreten und kann ihn durch die Musik hindurch wahrscheinlich gar nicht hören, aber seine Selbstbeherrschung ist am Ende. » Du– verfluchte Schlampe! Dich krieg ich! Du wirst schon sehen! Und wie du das verdammt noch mal sehen wirst!«
Victor Cantrell wiederholt seine Ellbogenbewegung und lacht Martin ins Gesicht, als dieser zurückzuckt. Martin taucht in der Menge ab. Er weiß, wann ein Kampf sinnlos ist. Aber dafür wird jemand bezahlen. Irgendjemand. Er spürt Schweiß auf seiner Stirn und zittert. Würde diesen lachenden Typen um ihn herum am liebsten ein volles Glas ins Gesicht schütten.
Für den Moment begnügt er sich damit, ein paar Rückenstöße auszuteilen, während er zum Ausgang stapft. Für den Moment.
Sie sieht dem Kerl hinterher und stellt fest, dass sie zittert. Dann schaut sie zu ihrem Retter auf. » Danke«, sagt sie.
» Schon okay«, erwidert er. » Eine Plage, der da. Richtiger kleiner Stalker.«
» Nun– danke. Ich dachte schon, ich gerate da in echte Schwierigkeiten.«
Der Mann zuckt die Achseln. » Sie sollten sich besser nicht hier herumtreiben«, meint er.
Kirsty seufzt. » Ja, ich weiß. Ich glaube, ich mache jetzt Feierabend.«
» Sie sehen irgendwie nicht aus wie eine Nutte«, sagt er. » Aber wenn Sie keine sind, warum sind Sie dann hier? Sind Sie eine Nutte? Weiß man heutzutage nie. Vielleicht sind Sie ja eine.«
Sie ist schockiert. Sieht ein glitzerndes Halblächeln auf seinem Gesicht, das ihr nicht gefällt. Sie kann das DanceAttack keine Minute länger ertragen, will raus aus Whitmouth. Errötend drängt sie sich ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei.
KAPITEL 26
Ich werde es genießen. Wirklich genießen.
Amber sitzt in ihrem Büro und trägt langsam und sorgfältig ihr Make-up auf. Sie hat sich hier eingeschlossen, kurz nachdem ihre Schicht begonnen hat. Als ihre Mitarbeiter eintrafen, hat sie sich im Schatten der Haupthalle einmal kurz gezeigt, dann ist sie zum Verwaltungstrakt zurückgespurtet, um eine dicke Lage Holz zwischen sich und die Welt zu legen.
Jetzt verwischt sie Spuren, wie sie es jeden Tag tut. Grundierung, Rouge und Highlighter eliminieren die Falten und Schatten, so wie ihre erfundenen Geschichten ihre Vergangenheit eliminiert haben. Sie werden es nicht erfahren. Ihre Hände zittern nicht mehr, und ihre Augen sind nach stundenlanger Behandlung mit Teebeuteln nicht mehr verräterisch geschwollen.
Es ist fast zwei Uhr. Das Teepausenritual rückt näher. Amber zieht schwarze Lidstriche und wartet darauf, Rache zu nehmen.
Als sie hereinkommt, ist die Cafeteria voll. Dampf und Essensgerüche und das Rumoren erschöpfter Alltagsroutine. Wieder eine Nacht wie jede andere.
Keineswegs. Heute Nacht ist sie die neue Amber: Sie lässt sich nicht mehr verarschen und ausnutzen. Die Putzleute halten sie für einen leichten Gegner, die nachsichtige Chefin, die über die meisten Verstöße hinwegsieht, weil sie ihre Ruhe haben will. Tja, diese Zeiten sind vorbei! Als Erwachsene hat sie immer nur Ja gesagt, hat sich angepasst und ist mit dem Strom geschwommen. Aber jetzt nicht mehr. Vic, die Belegschaft von Blackdown Hills, Suzanne Oddie, ihre Mutter und ihr Stiefvater, jeder beschissene Mann, dem sie nachlief, bis er fertig mit ihr war, jeder Vermieter, jeder Arbeitgeber, jede Frau, die ihre Freundin hätte sein sollen, und all das hat sie nirgendwohin geführt. Nur weiter heruntergezogen auf dem Weg ins Nichts. Herrgott, wenn sie sich Deborah Francis und Darren Walker an diesem Sommertag vor fünfundzwanzig Jahren nicht gefügt hätte, wäre alles nicht passiert. Aber jetzt ist Schluss. Nach dem heutigen Tag hat sie es geschafft.
» Moses«, sagt sie. Grinsend schaut er auf und erwartet den üblichen zaghaften Tadel, zieht jedoch ein langes Gesicht, als er ihren Blick sieht.
» Ja-ha?«
» Hier drin ist Rauchen verboten.«
» Ich habe nicht…«, setzt er an und verstummt, als er erkennt, dass sie
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